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Rezension: Evas Mann | Gayl Jones

etwa 11 Minuten Lesezeit

Oh boy. Evas Mann ist wirklich nichts, was man mal eben zwischendurch liest. Trotz der nicht einmal 200 Seiten habe ich viele Wochen gebraucht, um diese Geschichte zu lesen, zu verstehen, zu verarbeiten und dann Worte für diese Rezension zu finden.

Das Buch enthält anfangs eine Triggerwarnung, die ich aus naheliegenden Gründen hier zitiere:

Der vorliegende Roman erschien erstmals 1976 in den USA. Er enthält explizite Darstellungen von körperlicher, mentaler und sexualisierter Gewalt. Die Autorin bedient sich einer zeithistorischen Umgangssprache, die rassistische oder diskriminierende Ausdrücke gebraucht. Verlag und Übersetzerin haben entschieden, diese dem Ausgangstext gemäß ohne Kennzeichnung wiederzugeben.

In meiner Rezension beziehe ich mich konkret auf einige dieser Gewaltszenen.

Worum geht es in Evas Mann?

Eine schwarze Frau mit Haaren wie Schlangen und Augen, die jeden Mann verführen. Eine Frau, die fickt, aber Liebe machen will. Eine Frau, die ihrem Liebhaber den Penis abbeißt, bevor sie ihn umbringt. Diese intensive Erforschung des Innenlebens einer Frau ist zugleich Neuinterpretation des Mythos Medusa. Der zweite Roman von Amerikas größter vergessener Schriftstellerin, verfasst 1976, ist noch 50 Jahre nach
Erscheinen ein Akt der Befreiung.

Eva Medina Canada sitzt im Knast, schweigsam und ohne Reue. Sie hat ihren Liebhaber ermordet, warum, bleibt ihr Geheimnis. Ihre Erinnerungen kreisen um die Begegnungen mit den Männern in ihrem Leben – den Schuljungen, den Freund ihrer Mutter, den Cousin, ihren Ehemann, einen Fremden im Bus. Solange sich Eva erinnern kann, wurde sie bedrängt, überhört und missbraucht. Es sind singuläre Erlebnisse, die aufgehen in einer universellen weiblichen Erfahrung: der vermeintlichen Verführerin. – Die unmittelbaren Gedanken und Gefühle einer schwarzen Frau, der die Selbstermächtigung auf tragische Weise gelingt. Gayl Jones ist damit ein grandioses literarisches Kunststück gelungen. Diesen Roman vergisst man nicht.

Quelle: Verlag

Schreibstil und Sprache

Evas Mann ist eines dieser Bücher, die mich im Nachhinein wünschen lassen, ich hätte mich nicht nur vom Klappentext überzeugen lassen, sondern auch die Leseprobe gelesen. Ich hatte ja keine Ahnung, was ich unter der „zeithistorischen Umgangssprache“ zu verstehen hatte – und auch diesen Hinweis bekam ich erst nach Öffnen des Buches in der oben zitierten Triggerwarnung. Es ist schwer zu sagen, ob ich mich gegen das Lesen entschieden hätte, wenn ich vorab den Schreibstil gekannt hätte. Angenehm zu lesen war dieser nämlich absolut nicht. Aber das soll er wohl auch nicht sein: Sich durch die mal längeren, mal kürzeren Kapitel durchzubeißen, dranzubleiben und sprachliche Stolpersteine zu überwinden ist nach meiner Interpretation ein gewollter Teil der Lektüre.

Ich persönlich mag Bücher, sowohl Romane als auch Sachbücher, die sich einfach so herunterlesen lassen. In der Uni habe ich genug Fachtexte durcharbeiten müssen, um die Leichtigkeit eines flüssigen Schreibstils ohne unnötig komplizierte Vokabeln und sperrig konstruierte Sprachgebilde schätzen zu lernen. Evas Mann ist deshalb für mich ein merkwürdiges „Sowohl-Als auch“, denn: Die Sätze sind kurz, die Sprache einfach, der Satzbau nicht zu kompliziert. Und doch war der Text für mich stellenweise extrem zäh.

Das hängt zum größten Teil mit der oft vulgären Umgangssprache zusammen. Der rationale Teil meines Gehirns versteht, warum man sich dafür entschieden hat, aber ein anderer Teil, der einfach das Buch lesen wollte, um der Geschichte zu folgen, der hat sich etwas darüber geärgert. Im Vergleich zu deutschen Jugendbüchern, deren erwachsene Autoren (bewusst nicht gegendert, es sind meiner Erfahrung nach meistens Männer) betont Wörter und Formulierungen aus der Jugendsprache verwenden, um „hip“ oder möglichst authentisch zu wirken, womit sie leider eher das Gegenteil erreichen – in diesem Vergleich steht Evas Mann ziemlich gut da.

Aus meiner sehr deutschen, sehr weißen Laien-Perspektive aus der heutigen Zeit kann ich natürlich schwer die Authentizität der hier dargestellten Umgangssprache unter Schwarzen Menschen in den Südstaaten der USA in den 1960ern und 70ern beurteilen. Basierend auf allen Filmen, Dokus, Wissensfetzen über diese Zeit und diese Region, die ich bisher kenne, würde ich es trotzdem als passend beschreiben. Passend, aber eben mühsam zu lesen.

Wie im Klappentext erwähnt kreisen Evas Gedanken während ihrer Inhaftierung im Rückblick um die Männer, die ihr Schreckliches angetan haben. Das „kreisen“ ist wörtlich zu nehmen: Es wird zwar im Großen und Ganzen chronologisch erzählt, dabei jedoch immer wieder in kurzen Absätzen eine frühere Erzählung aufgegriffen oder ein einschneidender Moment wiederholt. Es gab auch Vorausgriffe auf spätere Ereignisse. Durch diese vielen, oft sehr kurzen Absätze war nicht immer erkennbar, in welcher Phase von Evas Leben man sich eigentlich gerade befindet, und erst in den kurzen Rückblick-Abschnitten späterer Kapitel fällt ein Schlüsselwort, das eine zeitliche Einordnung eines viel früher erwähnten Moments erlaubt.

Ich bekam dadurch ein, zwei Mal das Gefühl, einer persönlich erzählten Geschichte zu lauschen: „Und dann ist mir das passiert. Weißt du noch, ich hatte ja vorhin diese Person erwähnt – die wird jetzt wichtig. Damals hatte diese Person das hier gemacht, und jetzt hat sie sich so verhalten. Und dieser andere Typ? Der kommt erst später vor, aber merk‘ dir schon mal, dass ich ihn in diesem Zusammenhang erwähnt habe.“

Inhalt

Die Triggerwarnung eingangs erwähnt Gewalt in vielen Formen. Das würde ich doppelt unterstreichen und am liebsten ein Leuchtreklameschild danebenstellen! Einen so gewaltvollen Text habe ich lange nicht gelesen – und das sage ich, nachdem Die Furien. Frauen, Rache und Gerechtigkeit erst wenige Wochen her ist. Evas Leben ist von Anfang an durchzogen von Grenzüberschreitungen, körperlicher und sehr viel psychischer Gewalt. Meist an ihr selbst, oft gegenüber ihrer Familie, meist sind Frauen die Opfer. Es sind Menschen, die ihr sehr nahestehen und vollkommen Fremde. Eva existiert, also ist ihr Körper zum Benutzen da.

Um ein Beispiel zu nennen, das ich so gerne aus meiner Erinnerung streichen würde: ein Nachbarsjunge, einige Jahre älter als Eva und nicht ihr Freund, befummelt sie noch als Kind im Treppenhaus. Das reicht ihm aber nicht. Er stochert mit dem Plastikstiel eines Lutschers in ihrer Vagina herum, sodass sie noch am nächsten Tag blutet. Und er will das wiederholen. Das ist Evas erste Erfahrung mit intimer Gewalt.

Oder ein anderes Beispiel: Der Freund ihrer Mutter legt sich selbst Evas Hand in den Schritt, als sie ihre Hausaufgaben macht. Sie flieht in die Küche zu ihrer Mutter und erzählt ihr zwar nichts davon, aber macht ihr Unbehagen deutlich. Er interpretiert das als „du wolltest es doch auch und es geht dir bestimmt ebenso wenig wie mir aus dem Kopf“ und macht Wochen später noch weitere Versuche.

Die Frauen in Evas Leben haben ähnliche Erfahrungen gemacht und können ihr kaum helfen. Sie versuchen es zwar einige Male erfolgreich, das kleine Mädchen und später die junge Frau aus Gefahrensituationen zu retten oder ihr Tipps zu geben, wie sie reagieren sollte, was vermieden werden muss, aber auch das ist nur eingeschränkt möglich, weil diese Schwarzen Frauen selbst so eingeschränkt sind und bedroht werden.

Bei all der körperlichen Gewalt, die teilweise extrem explizit beschrieben wird, macht mir die psychische Ebene am meisten zu schaffen. Die absolute Hilflosigkeit. Die Unmöglichkeit, sich selbst auszudrücken, ohne missverstanden zu werden. Die Selbstverständlichkeit, mit der Männer und Jungs die teilweise um Jahrzehnte jüngere Eva als Besitz betrachten und entsprechend behandeln (wollen). Die Machtlosigkeit der Polizei gegenüber, die Unmöglichkeit der Verteidigung. Und wieder, das Gefühl, allein dazustehen und einfach nur hilflos zu sein. Das Gefühl, nach den Regeln anderer spielen zu müssen, sich selbst zu verraten, jeglichen Drang zur Verteidigung aufgeben zu müssen, um schlicht zu überleben. Dieses Gefühl durchzieht das gesamte Buch und ja, da stimme ich dem Verlag zu: „Diesen Roman vergisst man nicht.“

Mehr

Gut gefallen hat mir das Nachwort der Übersetzerin, in dem einige kulturelle Bezüge und wiederkehrende Motive erklärt werden. Beim Lesen war es mir selbst gar nicht so sehr aufgefallen, aber rückblickend konnte ich durchaus erkennen, dass Blicke und Augen eine große Rolle spielen: unter ständiger Beobachtung stehen, mit Blicken ausgezogen werden, der Ausdruck in den eigenen Augen wird als Interesse fehlinterpretiert. Vielleicht wirbt der Verlag auch deshalb mit dem Bezug auf den Medusa-Mythos? Auch genannte Songs oder Künstler:innen werden kontextualisiert. Das hat mir ein umfassenderes Bild der Geschichte gegeben.

Der Titel Evas Mann lässt mich grübeln. Die Hauptfigur Eva wird zwar genannt, aber eigentlich steht der Mann, den sie getötet hat, im Vordergrund. Stellvertretend für all die anderen Männer, die versucht haben, Eva klein zu machen. Es geht immer um den Mann, nicht um die Frau. Auch die Geschichte selbst hat einen enormen Fokus auf die Männer. Ich hatte ja erwähnt, dass die Frauen Eva nur bedingt helfen können. Wenn Evas Mann Hoffnung machen wollte, dann würde es mehr Szenen unter Frauen geben oder mehr Momente, in denen Frauen und Mädchen Hilfe bekommen. Das ist aber nicht der Fall. Stattdessen sehe ich Evas Mann eher als düsteres Abbild einer grausamen Realität und weniger als Darstellung eines möglichen Auswegs.

Fazit

Für mich ist Evas Mann eine zermürbende und unfassbar bedrückende Geschichte einer Frau, die auf alle nur erdenklichen Weisen gebrochen wurde und irgendwann die Reißleine zieht – nur um weiterhin als Objekt und nicht als Person betrachtet zu werden, die eigene Entscheidungen treffen, geschweige denn sich wehren kann oder vielmehr darf. Das Lesen hat mir keine Freude bereitet und ich wurde nicht unterhalten, aber das ist auch nicht Ziel des Buches. Evas Mann will aufrütteln, will schon die kleinen Übergriffe aufzeigen und verurteilt die männlich-weiß orientierte Gesellschaftsstruktur, durch die all die großen Übergriffe und Gewalttaten erst möglich werden.

Und dass seit dem ersten Erscheinen im Jahr 1976 dieses Buch immer noch so aktuell ist, die Probleme immer noch dieselben sind, Männer wie die, denen Eva begegnet, immer noch mit viel zu viel durchkommen – das ist leider nicht erschreckend, sondern schrecklich.

Vielen Dank an die Agentur Literaturtest für das Rezensionsexemplar!

Titel: Evas Mann
Autor*in: Gayl Jones
Übersetzung: Pieke Biermann
Verlag: Kanon
Gerne/Themen/Tropes/Altersempfehlung: Gewalt gegen Frauen, Gewalt gegen Schwarze Menschen, Gewalt gegen Schwarze Frauen, Rassismus, Sexismus, ab 16

Preis: 16,99 € (eBook) (In deiner Lieblingsbuchhandlung kaufen.)
ISBN: 978-3-98568-052-8
Erschienen: 27.02.2025
gelesenes Format: Rezensionsexemplar als PDF, gebunden und als eBook erhältlich
Umfang: 192 Seiten

Max Klas auf Seitenwaelzer (Rezension zu Eva’s Man)

Man findet keine Aufzählungen aneinandergereihter Gewalt. Nein, jede Tat ist präsent, jeder Täter noch irgendwie da. Die Worte des aufdringlichen Moses, den sie mit 17 in einer Bar trifft, klingen noch in Davies Zimmer fast 30 Jahre später nach. […] Durch diese fließende und fragmentarische Erzählweise werden Lesende dazu verleitet, die Lücken in und um die Geschichte selbst zu füllen. Man versucht, Eva zu folgen, mit ihr zu denken und irgendwie zu verstehen. Das kann ebenso spannend wie frustrierend sein.

Das Thema an sich wäre eigentlich sehr wichtig gewesen und auch spannend. Leider kam es für mich viel zu kurz weil ich einfach mehr damit zu kämpfen hatte, mich zurecht zu finden. 

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Abbildung des Buches Evas Mann von Gayl Jones vor einem dunkelblauen Hintergrund. Das Cover zeigt den Kopf einer Person in neonbunten Farben wie hellgrün, gelb, rot, pink, orange und blau. Es sind so viele kleine bunte Flächen, dass keine Details erkennbar sind. Anhand des Buch-Inhalts lässt sich erahnen, dass eine Schwarze Frau mit wildem Haar gezeigt wird, in Anlehnung an den Medusa-Mythos. Am oberen Buchrand ist ein breiter dunkelblauer Streifen, der einen Werbetext des Verlags in weiß trägt. Weiß sind auch der Titel und der Name der Autorin, die auf dem bunten Bild liegen. Der Hintergrund dieses Beitragsbilds greift das dunkle Blau des oberen Textfeldes auf.

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