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Das Autorinnen-Pseudonym Priest ist mir schon häufiger begegnet, mindestens eine Serienadaption ihrer Bücher habe ich sogar angesehen. Guardian – Seelenwächter ist jedoch das erste Buch, das ich von ihr gelesen habe. Ich erwartete fantastische Wesen, spannende Polizeiarbeit und vor allem starke Gefühle zwischen den beiden Hauptfiguren.
Sprachlich abwechslungsreich
Bevor ich diese Elemente, die Seelenwächter auch tatsächlich bietet, aber genießen konnte, musste ich mich erst einmal an den Schreib- und Erzählstil gewöhnen. Da es sich um eine Übersetzung handelt, kann ich schwer beurteilen, ob es an der Autorin, der Übersetzung oder dem Lektorat liegt, dass ein paar Stellen extrem holprig wirken: „So, wie er dastand, wirkte er wie ein Model aus der Parfümwerbung […], wie er so schweigend eine Weile dastand.“ (eBook, Position 1223)
Während ich mir manche Sätze und Formulierungen markiert habe, weil sie einfach SO GUT sind („[Der Mann] war auf die Nase gefallen. Und der Stein, über den er gestolpert war, hieß „einseitige Liebe“.“ Position 2374), habe ich andere mehrfach lesen müssen, um mir der Bedeutung sicher zu sein oder, wie in dem ersten Beispiel oben, weil mich merkwürdige Wiederholungen aus dem Lesefluss rissen.
Die Beschreibungen sind sehr bildhaft und besonders die Monster ließen regelrecht kleine Filmsequenzen in meinem Kopf ablaufen. Ich habe mich durch das Design der Geister an Studio Ghiblis Chihiros Reise ins Zauberland erinnert gefühlt oder auch an A Magic Steeped in Poison und Das Mädchen, das in den Wellen verschwand. Aber auf diese bildhafte Sprache folgten immer wieder ganze Abschnitte, in denen irgendwie der Funke nicht überspringen wollte – weder zwischen der Geschichte und mir, noch zwischen Zhao Yunlan und Shen Wei.
Erst im zweiten Teil des Buches konnte ich die Beziehungen zwischen den einzelnen Figuren mit Freude verfolgen. Beide Männer sind deutlich aneinander interessiert, halten sich aber lange zurück, während sie (naja, einer von ihnen) hemmungslos flirten. Die Nebencharaktere sind mal sehr unterhaltsam, dann wieder etwas befremdlich – das passt perfekt zur Geschichte.
Kulturelle Einflüsse
In Seelenwächter verflochten finden sich einige offensichtliche kulturelle Unterschiede zu der westlichen Literatur, die ich eher gewohnt bin – beispielsweise die Art der Geister, die Rituale oder die Selbstverständlichkeit, mit der die Existenz übernatürlicher Wesen von der breiten Bevölkerung akzeptiert wird. Dieses über-den-Tellerrand-Schauen mag ich sehr gern.
Triggerwarnung?
Aber Seelenwächter enthält auch etwas subtilere Details, die ich an kulturellen Hintergründen festmachen würde. (Keine Sorge, die hier genannten Beispiele sind spoilerfrei!)
Zum Beispiel der Umgang mit (oder eher: die Bewertung von) Suizid im akademischen Kontext oder der Verpflichtung den älteren Familienmitgliedern gegenüber. Einige kurze Szenen fand ich schwer zu verdauen, nachdem mir diese Details auffielen: In einem Satz wird beinahe nebensächlich der Geist eines abgetriebenen Fötus mit aufgebrochenem Schädel und zerfetztem Gehirn beschrieben – eine grausame Vorstellung, die für die Handlung keinen anderen Zweck hatte als zu schockieren, sowohl eine bestimmte Figur als auch uns Lesende. Diese Szenen beschränken sich überwiegend auf den ersten Teil, wenn auch der zweite nicht weniger grausam ist – nur auf andere, für mich angenehmere Weise.
Vielleicht wäre für Seelenwächter eine Triggerwarnung angemessen, da der Klappentext sich mehr auf Romantik und Geheimnisse konzentriert und weniger auf herausgerissene Eingeweide oder Massenmord und Sklaverei innerhalb eines inzwischen ausgestorbenen Volksstammes: Es ist nur die Rede von einer „übernatürlichen Mordserie“ oder einem „furchtbaren Todesfall“.
Sowohl ein Glossar, als auch Hilfen zur Aussprache der wahrscheinlich chinesischen Namen (Dicker Pluspunkt!) und Übersichten der Figuren sind am Ende des Buches enthalten. Eine Seite mehr mit einer Auflistung potenziell schwieriger Themen wäre daher meiner Meinung nach auch noch drin gewesen.
Zum Ende hin immer besser
Der zweite Abschnitt von Seelenwächter war nicht nur sprachlich, sondern auch inhaltlich mehr nach meinem Geschmack: weniger Horrorelemente und klassische Mordermittlung (mit übernatürlichem i-Tüpfelchen), dafür mehr Humor, Mythologie und Historie. Hier wurde auch eine Identität enthüllt, die ich schon in den ersten Kapiteln erahnt hatte und die mich sehr neugierig macht, wie sich manche Dinge nun entwickeln werden.
Diese Zweiteilung des Buches liest sich übrigens ein bisschen wie zwei Episoden einer Serienverfilmung. Vielleicht hätte die Geschichte für mich besser funktioniert, wenn ich sie als Serie verfolgt hätte? Womöglich ist sie auch bewusst so angelegt, damit sie sich leicht adaptieren lässt, wenn man die bisherigen Erfolge der Autorin betrachtet. Das ist nur meine Vermutung, aber dieser Eindruck drängte sich mir mehr als einmal auf.
Ich bin zwiegespalten, ob ich die Fortsetzung lesen möchte. Einerseits wird es gegen Ende erst so richtig spannend, was Zhao Yunlan und Shen Wei betrifft. Ich möchte wirklich verfolgen, wie sich ihre Beziehung entwickelt. Gleichzeitig reizt es mich überhaupt nicht, den Rest der Geschichte zu lesen. Die Welt ist zwar gut gebaut und die Handlung nicht langweilig, aber mich interessierte eben am meisten die Beziehung und die kam auf diesen 400 Seiten echt zu kurz, obwohl Yunlan oft nichts anderes im Kopf hatte. Ja, es ist der erste Band, da müssen sie sich erst einmal aneinander herantasten. Ja, das Ende deutet an, dass es im zweiten Band anders laufen könnte. Und doch lassen mich Schreibstil und Erzähltempo zögern.
Fazit
Guardian – Seelenwächter erzählt eine von Mysterien und Monstern durchzogene Geschichte mit einer kleinen Prise Romantik. Leider lassen Cover, Klappentext und Werbung fälschlicherweise einen Fokus auf die Liebesgeschichte erwarten, die in diesem ersten Band eher nebensächlich erscheint. Auch an den Schreibstil musste ich mich erst einmal gewöhnen, sodass die Freude an der bildlich beschriebenen Welt und ihren Eigenarten erst ab etwa der Hälfte des Buches einsetzte und mich zwar insgesamt positiv auf Seelenwächter zurückblicken lässt und wirklich neugierig auf die Fortsetzung macht, aber so richtig Lust weiterzulesen habe ich trotzdem nicht.
Vielen Dank an NetGalley und den Verlag für das Rezensionsexemplar!
Titel: Guardian 1. Seelenwächter
Autor*in: Priest
Illustrationen:
Übersetzung: Monika Li, Sarah Ozolnieks
Reihe/Band: Guardian 1 von 3
Verlag: Bramble by Droemer Knaur
Gerne/Themen/Tropes/Altersempfehlung: Urban Fantasy, Krimi, chinesische Mythologie, grumpy x sunshine, slow burn, second chance, dark academia, forbidden love, boys love, ab 16
Preis: 9,99 €
ISBN: 978-3-426-56379-3
Erschienen: 02.06.2025
gelesenes Format: eBook, auch gebunden erhältlich
Umfang: 448 Seiten
Besonderheit: einzelne Illustrationen und gebundene Ausgabe mit Farbschnitt






