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Ich weiß schon gar nicht mehr, wann ich das erste Mal auf Lore Olympus aufmerksam wurde. Als das Buch auf Deutsch übersetzt wurde? Oder sind mir schon vorher Ausschnitte aus dem Webtoon online begegnet? Ehrlich, keine Ahnung. Das Buch lag jedenfalls schon weit mehr als ein Jahr bei mir, sogar auf dem Nachttisch, damit es bei der richtigen Laune direkt griffbereit ist, weil ich soo neugierig war. Aber die richtige Stimmung für diese Graphic Novel über Hades und Persephone kam erst diese Woche. Und dann hatte ich das Buch nach nicht einmal eineinhalb Stunden plötzlich inhaliert …
Zuerst fand ich die grafische Darstellung etwas merkwürdig: sehr viel Weißraum mit wenigen kleineren Panels und Zeichnungen, die doch irgendwie ganz anders waren als erwartet. Viel Stilisierung und stellenweise Details, die mich an Animes erinnert haben. Aber dann, ganz schleichend, ergaben der Stil und die Entscheidungen, die Rachel Smythe getroffen hat, einen Sinn. Dass Lore Olympus ursprünglich ein Webtoon war, hatte ich in der Zeit seit dem Kauf des Buches ganz vergessen. Dieser Aspekt erklärt aber den Aufbau einiger Buchseiten und den Anteil des Weiß- (oder Schwarz-) Raums im Hintergrund.
Ich behaupte von mir, dass ich ein bisschen Basiswissen über griechische Mythologie habe, weil ich mich als Teenager dafür interessiert habe – die Buchreihe Mythos Academy von Jennifer Estep habe ich geliebt -, aber Vieles ist wieder aus meinem Hirn verschwunden, sodass ich eigentlich fast blind in diese Geschichte eingestiegen bin.
Grob zusammengefasst weiß ich, dass die griechischen Götter die 2. Generation sind und vor ihnen die Titanen kamen, ich kenne einige der Namen und bei noch weniger kann ich mich noch erinnern, wofür sie stehen, Hermes zum Beispiel oder Athene. Ich weiß, dass Persephone die Tochter von Demeter ist und dass sie mit Hades in die Unterwelt geht. Warum sie das tut, wie das passiert und welchen Kontext diese Geschichte hat – das wusste ich mal, aber inzwischen habe ich diese Information nicht mehr präsent.
Deshalb konnte ich ohne ständige Vergleiche mit dem Original diese halbwegs modernisierte Neuerzählung wirklich genießen. Es gibt Smartphones, teure Anzüge und flauschige Wintermäntel, gleichzeitig aber auch anmutige Gewänder und Kopfschmuck, die an die klassischen Darstellungen vom Olymp erinnern. Wer sich von dieser Mischung nicht abschrecken lässt, der könnte wirklich Gefallen an Lore Olympus finden.
Aber apropos „abschrecken“. Dieses Buch hat nicht ohne Grund eine Triggerwarnung (ich zitiere sie am Ende der Rezension, sodass Spoiler vermieden werden können)! Besonders zum Ende hin gibt es einige wenige problematische Szenen, darunter eine Vergewaltigung (nicht durch den Love Interest!) und das Einsperren durch einen Elternteil „zum Schutz“.
Ich finde es trotz der Grausamkeit der erzählten Momente wichtig, dass diese Elemente nicht romantisiert, sondern als so schrecklich dargestellt werden wie sie nun einmal sind. Sie sind, soweit ich es aktuell abschätzen kann, entscheidende Momente für die Hauptfigur und begründen den Weg ihrer Entwicklung.
Ich kann aus oben genannten Gründen nicht beurteilen, ob es entsprechende Szenen im ursprünglichen Mythos um Persephone gibt und hoffe deshalb, dass die Künstlerin nicht im Stil von Game of Thrones grundlose Grausamkeit in ihre Geschichte eingebaut hat. Im Moment, nach dem Lesen von ausschließlich Band 1, habe ich den Eindruck, dass es einen höheren Zweck erfüllen wird. Bildlich sind diese Szenen, ich habe insbesondere drei davon im Kopf – eine recht weit am Anfang, zwei gegen Ende -, sehr beeindruckend umgesetzt.
Toll umgesetzt ist auch die Farbgebung: jede Gottheit hat eine bestimmte Farbe zugeteilt bekommen, die immer dieselbe bleibt. So ist auch bei Panels mit weniger Details schnell erkennbar, wer dargestellt ist. Das ist eines der Dinge, die mich anfangs irgendwie gestört haben, weil es so ungewohnt für mich war. Gegen Ende war es aber total normal, dass Hera gelb und Athene lila sind. Dass Hades ein helles Blau bekommen hat erinnerte mich kurz an die Disney-Verfilmung von Herkules, aber ob das eine beabsichtigte Verbindung ist, weiß wohl nur die Autorin. 🤓
Fazit
Insgesamt ist Lore Olympus eine erfrischend neue Version der klassischen Geschichte um Hades und Persephone. Ich erkenne insbesondere im Jugendbuch und bei New Adult einen Trend, klassische Paare neu zu erzählen, und dabei waren Hades und Persephone ganz weit vorn mit dabei. Ob Lore Olympus dabei eine Rolle gespielt hat – immerhin war der Webtoon lange vor der Veröffentlichung und Übersetzung der Bücher online lesbar -, weiß ich nicht. Auf jeden Fall kann sich diese Graphic Novel wirklich sehen lassen, und ich bin sehr gespannt, wie die Geschichte weitergeht. Sobald ich mir die Fortsetzung anschaffe, warte ich bestimmt nicht noch einmal fast ein ganzes Jahr, bevor ich sie lese!
Triggerwarnung
„Anmerkung der Autorin: Lore Olympus behandelt Themen wie physische und psychische Gewalt, sexuelle Traumata und toxische Beziehungen. Manche Szenen dieses Buches können für Leser:innen verstörend sein. Bitte seid umsichtig und nehmt Unterstützung in Anspruch, falls ihr sie braucht.“
(Zitiert aus Lore Olympus, Seite 7)
Autor*in: Rachel Smythe
Übersetzung: Hannah Brosch
Reihe: Lore Olympus, Band 1
Verlag: LYX Verlag
Gerne/Themen/Altersempfehlung: Graphic Novel, Fantasy, griechische Mythologie, Sunshine-und-Grumpy-Trope, ich empfehle ein Lesealter ab 16
Preis: 24,99 € (kaufen auf genialokal.de)
ISBN: 978-3-7363-1874-8
Erschienen: 28.10.2022
gelesenes Format: Gebunden
Umfang: 384 Seiten
Besonderheit: vielfarbig illustriert