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Ich hatte große Hoffnungen auf Moor Myrte und das Zaubergarn, und ein wichtiger Punkt wurde auch erfüllt. Aber ich wurde leider überwiegend enttäuscht. Aber lest selbst.
Zuerst etwas, das mir gefällt: Es ist keine Neuigkeit mehr, dass uns die Erde unter den Füßen wegschmilz und -brennt, aber es mangelt meiner Meinung nach immer noch an eindrücklichen Kinderbüchern, in der die Dringlichkeit dieses Problems dargestellt wird (Solartopia für Zwölfjährige ist ein schönes aktuelles Beispiel). Ohne komplizierte Worte, mit einfachsten Mitteln erzählt. Moor Myrte setzt genau da an und überträgt „Mutter Natur“ in eine körperliche Form, die einfach irgendwann genug von menschlicher Gier und Rücksichtslosigkeit hat, aber auch verzeiht, wenn man sich nur genug bemüht. Die Idee ist nicht neu, auf dieselbe Weise funktionierten schon Märchen und Gruselgeschichten, mit denen zum Beispiel Kinder von gefährlichen Orten ferngehalten werden sollten.
Und genau wie die oft gruseligen Figuren in diesen alten Geschichten ist auch der übergroße Spinnenkörper von Moor Myrte kein schöner Anblick. Sie ist nachtragend und vergibt nur langsam menschliche Fehltritte. Wer aber nur nimmt, nimmt, nimmt und keinen Gedanken daran verschwendet, dass Ressourcen endlich sind, der muss mit den Konsequenzen der eigenen Taten leben, bevor er – hier wortwörtlich – von der Natur gefressen wird. Diese bildliche Darstellung finde ich sehr gelungen.
Aber damit bin ich leider auch schon bei meinem negativen Punkt: Magnolia bekommt keine Chance, aus ihren Fehlern zu lernen. Wenn dieses Buch einen Lerneffekt haben soll, wenn die jungen Lesenden verstehen sollen, wie sie es besser machen können als Magnolia, dann reicht meiner Meinung nach Beatrices verträumte Weltsicht als Vorbild nicht: Beatrice reflektiert ihr eigenes Handeln ebenso wenig wie Magnolia, ihr naiver Gang durch die Welt ist einfach ihre Art zu leben.
Die beiden Schwestern sind zwar offensichtlich als Positiv- und Negativbeispiel beim Umgang mit der Natur angelegt, aber es sind solche Extreme, dass sich kaum Identifikationspotenzial für das achtjährige Zielpublikum finden lässt. So bleiben sie nur Figuren in einem Buch, keine „echten Menschen“, die etwas richtig oder falsch machen.
Während Beatrices Erfahrung mit der Rachsüchtigkeit bzw. Gnade der Natur wirklich schön und sinnvoll dargestellt ist, finde ich Magnolias Erlebnis etwas zur kurz gedacht:
Beatrice nimmt unter anderem den schönsten Stein des Waldes mit, Moor Myrte ist wütend und beruhigt sich, als sie von Beatrices Zurücklegen des Steins erfährt. Beide freuen sich zusammen über die Schönheit des Steins in seiner angedachten Umgebung und Moor Myrte gibt Beatrice ein Geschenk. Lektion: Nimm der Natur nichts weg und falls das doch mal nötig sein sollte, dann sorge dafür, dass sie es zurückbekommt. (Ich dachte hierbei zum Beispiel an die Wiederaufforstung von Wäldern.) Die Natur wird es dir danken.
Magnolia wirft ihren Pullover, aus Zaubergarn gefertigt, einfach in den Wald und hat auch auf Nachfrage nicht vor, ihn wieder aufzuheben. Sie wird sofort in eine Fliege verwandelt und von Moor Myrte gefressen. Lektion: Hinterlasse keinen menschengemachten Müll in der Natur, auch, wenn er ursprünglich aus natürlichen Materialien bestand, sonst wirst du – getötet?
An dieser Stelle habe ich kurz gestutzt und war fest davon überzeugt, dass die Geschichte hier einen Schritt zurückgehen würde, nach dem Motto „das hätte Magnolia zwar verdient, aber vorher …“
Es ist zwar nicht falsch – Ausbeutung, Umweltverschmutzung, Klimawandel, Verlust von Lebensraum und schließlich die Unmöglichkeit zu überleben ist eine logische Abfolge. Und doch fehlt mir eine kurze Szene, in der Magnolia als Lernmoment für die Lesenden genutzt werden kann.
Moor Myrte hätte sie fragen können, warum sie ihren Pullover nicht wieder aufhebt. Warum sie so viel Geld verdienen will. Warum sie Beatrice so schlecht behandelt. Warum sie den Wollverkäufer aus seinem Geschäft wirft. Warum sie überhaupt so griesgrämig und freudlos ist. Das Erklären und damit Hinterfragen ihrer Handlungen hätte für Lesende meiner Meinung nach mehr Potenzial zum Aufrütteln als das schlichte Ende, das hier gewählt wurde. Ich habe kein Problem damit, wie Magnolia ihr Ende findet. Ich hätte es nur besser gefunden, wenn das fünf Seiten später passiert wäre.
Optisch funktioniert der Zeichenstil gut mit der Geschichte: rund und bunt, wo Beatrice im Fokus steht, kalt, kantig und düster bei Magnolia und gleichzeitig konsequent in der Darstellung. Manche Szenen haben mich durch Gesichtsausdrücke oder Positionierung der Figuren etwas an den Struwwelpeter erinnert, was vielleicht ein Grund dafür ist, dass ich nicht recht warm damit wurde. Doch zur Erzählung passt es sehr gut.
Kurzgefasst freue ich mich darüber, dass dieses Thema für Kinder in einer so unkomplizierten Form aufbereitet wurde, wenn Moor Myrte auch teilweise schwere Vokabeln verwendet („Genossenschafts-Buchhandlung“). Der Apell zum verantwortungsvollen Umgang mit der Natur ist vorhanden, auch der mahnende Charakter des Buches ist unübersehbar. Ich habe allerdings mehr „so kannst du es besser machen, falls du bisher auf dem falschen Weg warst“ erwartet und wurde darin enttäuscht: Es bleibt beim plakativ erhobenen, mahnenden Zeigefinger. Den erwünschten Lehrmoment für die jungen Lesenden habe ich bis zum Ende vermisst.
Ich danke dem Verlag und NetGalley für das Rezensionsexemplar!
Titel: Moor Myrte
Autor*in: Sid Sharp
Übersetzung: Alexandra Rak
Reihe: –
Verlag: NordSüd
Gerne/Themen/Altersempfehlung: Bilderbuch, Märchen, Naturschutz, ab 8
Preis: 22 € (In deiner Lieblingsbuchhandlung kaufen.)
ISBN: 978-3-314-10725-2
Erschienen: 12.02.2025
gelesenes Format: digitales Rezensionsexemplar, gebunden erhältlich
Umfang: 152 Seiten
Besonderheit: durchgehend vielfarbig illustriert
