Ich bin kein großer Lyrik-Fan. Tatsächlich habe ich mich außerhalb des Deutschunterrichts in der Schule damals kaum bis nie mit Poesie auseinander gesetzt. Ich hatte einfach nie den richtigen Zugang zu der Thematik, wurde nicht warm damit. Nachdem die Autorin Rupi Kaur aber in den letzten Jahren so bekannt und beliebt wurde und jetzt ein Buch mit dem Titel home body erschien, wollte ich doch einen Versuch wagen. Meine Vorlieben haben sich in anderen Bereichen weiter entwickelt, vielleicht ja auch in Bezug auf Lyrik? Außerdem beschäftige ich mich seit einiger Zeit mit dem Thema Selbstliebe und -akzeptanz, da passte es auch inhaltlich ganz gut.
Kurzbeschreibung
Rupi Kaur zelebriert persönliches Wachstum, und in »home body« nimmt sie ihre Leser*innen mit auf eine reflektierte und intime Reise, zu Besuch bei ihrer Vergangenheit, Gegenwart und dem Potenzial des Selbst. »home body« ist eine Sammlung roher, ehrlicher Selbstgespräche – und ermutigt die Leser*innen, sich selbst mit Liebe, Akzeptanz, Gemeinschaft und Familie aufzuladen und Veränderungen zu umarmen.
Illustriert von der Autorin, warten hier Themen wie Natur und Erziehung, Licht und Dunkel. Quelle: S. Fischer Verlage, Buchseite
Nun, wie fasse ich mein Leseerlebnis am besten in Worte? Die Texte gefallen mir im Großen und Ganzen ganz gut. Ich habe mir, wie ihr auf den Fotos unschwer erkennen könnt, auch viele Stellen markiert, um sie später schneller wieder zu finden. Einige Texte haben mir besonders gut gefallen, zum Beispiel dieser zum Thema Produktivitätsangst. Er geht über 4 Seiten, deshalb zitiere ich ihn hier nicht komplett, sondern nur auszugsweise:
ich habe diese produktivitätsangst
dass alle anderen härter arbeiten als ich
und ich ins hintertreffen gerate
weil ich nicht schnell genug arbeite
nicht lange genug
und meine zeit vergeude
ich setze mich zum frühstück nicht hin
ich bestelle nur etwas zum mitnehmen
ich rufe meine mutter an wenn ich frei habe – sonst
dauert unsere unterhaltung zu lang
ich schiebe alles auf
was mich meinen träumen nicht näher bringt
als wären die dinge die ich aufschiebe
nicht der wahre traum
ist der wahre traum nicht eigentlich
dass ich eine mutter habe die ich anrufen kann
und einen tisch an dem ich frühstücken kann
[…] ……. Rupi Kaur, home body. S. 88 f. „produktivitätsangst“
Die meisten anderen Texte sind sehr kurz, haben nur 3 bis 5 Verse. Ich schreibe übrigens von Texten und nicht von Gedichten, da sich kaum etwas wirklich reimt.
Die Texte haben auch allesamt Botschaften, die ich mehr oder weniger selbst repräsentiere: Selbstliebe, Rücksicht auf sich selbst, Wut gegenüber gesellschaftlichen Grenzen für Frauen und andere Marginalisierte usw. Nur wenige stimmen in ihrer Aussage nicht mit meinen eigenen Überzeugungen überein. Gut gefällt mir auch die Aufmachung: Rupi Kaur hat mindestens jede zweite Seite illustriert, das Buch liegt als Hardcover gut in der Hand und laut Info-Mail des Verlags hat die Autorin „in einem Instagram-Post offenbart“, dass die Farbe des Covers „stellvertretend für ihre Hautfarbe“ steht. Das trägt noch einmal eine ganz besondere Bedeutung mit sich, finde ich, und macht das Buch sehr persönlich.
Etwas schade finde ich, dass sich nicht alle Texte wirklich an dem Titel orientieren. Wobei – andersherum wird wohl eher ein Schuh draus: der Titel home body beziehungsweise der Deutsche Untertitel zu hause in mir trifft leider nicht alle Texte. So gibt es auch Verse, in denen (Kindes-) Missbrauch verarbeitet wird oder Vergewaltigungen Erwähnung finden. Das hat zwar alles seine Daseinsberechtigung und gehört für Rupi Kaur wahrscheinlich auch zum Verarbeitungsprozess. Zu Selbst-Akzeptanz gehört auch, die Geschichte (und eventuelle Misshandlungen) des eigenen Körpers zu verarbeiten und zu akzeptieren. Es ist also völlig okay, dass Texte zu diesen Themen Raum in Textsammlungen finden. Für mich gingen Verse wie diese aber etwas am titelgebenden Thema vorbei oder waren zumindest ziemlich überraschend. Ich hatte etwas anderes erwartet, mehr in Richtung Wellness und Empowerment und weniger düster.
Und leider muss ich abschließend auch feststellen, dass sich meine Einstellung zu Lyrik nicht verändert hat. Sie ist zwischendurch ganz nett zu lesen, und manche Texte fassen auch schön in Worte, was ich mir oft genug still denke. Aber ich persönlich finde die Werke nicht so überwältigend und faszinierend, wie viele andere Leute in den letzten Monaten und Jahren sagten.
Meiner Meinung nach ist das Buch auch ziemlich teuer für so „wenig“ Inhalt. Ja, es ist ein Hardcover. Das eBook ist aber mit 9,99 € auch nicht so viel günstiger. Und 16,00 € für 192 Seiten finde ich auch dann viel, wenn es Prosa ist, also zum Beispiel ein Roman. Hier sind jedoch im Gegensatz zu Prosa die größten Teile der Seiten weiß und leer.
Positiv
- gute Botschaften
- ein paar sehr, sehr gute Texte
- schöne Aufmachung
Negativ
- überwiegend andere Themen als erwartet
- ziemlich teuer für so wenig Inhalt
Fazit
Es ist natürlich Ansichtssache und jede:r hat ihre:seine eigenen Vorlieben. Für mich ist die Lyrik-Verpackung der hier behandelten Themen – und diese sind richtig und wichtig! – einfach nicht die passend. Ich persönlich lese lieber einen Roman, in dem die Themen verarbeitet werden. Für Poesie finde ich die Texte aber gut …
Das Rezensionsexemplar wurde mir vom S. Fischer Verlag zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür!
Bibliographische Daten
Titel: home body. zu hause in mir
Reihe: –
Autorin: Rupi Kaur
Übersetzung: Anna Julia Strüh, Christine Strüh
Verlag: FISCHER New Media
Genre: Lyrik
Preis: 16,00 € (genialokal.de)
ISBN: 978-3-7335-5013-4
Format: Hardcover
Umfang: 192 Seiten
Erschienen: 25.11.2020
Besonderheit: illustriert von der Autorin
Weitere Meinungen zu home body von Rupi Kaur
„There are too many ideas here competing for airtime. […] I wonder what would happen if she approached her next book in a more organized manner, with a clearer mission“