Diese Rezension habe ich im Rahmen einer Lesejury-Leserunde am 15.09.2019 geschrieben, als mein Blog gerade pausiert hat.
Als ich sah, dass es zu Washington Black in der Lesejury eine Leserunde geben würde, habe ich mich sehr gefreut: Ich war überzeugt, dass Stoff wie dieser zahlreiche Diskussionen anregen würde. Ganz daneben lag ich damit nicht, denn diskutiert wurde viel. Aber die Geschichte selbst verlief anders, als ich erwartet hatte – und das nicht im positiven Sinn.
Der Anfang war klasse, das Szenario der Sklaverei bedrückend und meines Erachtens nach sehr realistisch beschrieben, der Sprachstil der Autorin sehr authentisch und gut zu lesen. Sie variiert die Art und Weise, wie sie schreibt, welche Worte sie wählt, bei den verschiedenen Charakteren. Das gefällt mir sehr gut. Dadurch werden sie mehr zu Menschen als zu Figuren. So ist die Sprache mal wissenschaftlich analytisch, vielleicht sogar distanziert, und ein anderes Mal derb, heftig, sehr direkt und brutal. Bei einem Thema wie Sklaverei ist das auch irgendwie angemessen – sie trifft jedenfalls den richtigen Ton.
Die Charaktere selbst sind kaum stereotypisch, was mir sehr positiv auffiel. Dafür fehlt ihnen jegliche Raffinesse, nichts an ihnen ist irgendwie interessant. Der Protagonist George Washington Black – kurz: Wash – bietet noch am meisten Grundlage für eine interessante Geschichte, entwickelt sich aber so, dass diese Basis nicht ausreichend genutzt wird.
Die Geschichte von Washington Black wendet sich aber ab etwa dem zweiten Drittel in eine Richtung, die mir nicht gefiel. Die Spannung nimmt konstant ab, hat gegen Ende noch einen kurzen Aufschwung, nur, um dann direkt wieder abzufallen. Ohne zu spoilern kann ich es nicht genauer beschreiben, weshalb ich an dieser Stelle auf Details verzichte. So viel sei aber gesagt: Es gibt Szenen, die einfach nur unrealistisch sind, Absätze, die in drei Zeilen mehrere Wochen zusammenfassen, als sei nichts passiert – und das, obwohl es unfassbar viel Stoff für diese Zeitspanne gab. Momente, in denen ich nicht die Charaktere, sondern die Autorin schütteln wollte und sie fragen, was sie sich eigentlich dabei denkt.
Warum nutzt sie nicht die Chancen auf interessante Wendungen, wenn die sich ihr quasi von selbst präsentieren? Warum überspringt sie Zeitspannen, die sowohl für den Verlauf der Handlung als auch im Hinblick auf historische Korrektheit wichtig wären? Warum streicht sie wichtige Figuren für große Teile der Handlung aus dem Geschehen? Warum wiederholt sie bestimmte Muster, die schon beim zweiten Mal nicht mehr überraschend, geschweige denn interessant wirken? Auf diese Weise birgt die Handlung von Washington Black unfassbar viel ungenutztes Potential, was mich sowohl während der Lektüre als auch jetzt im Nachhinein einfach nur enttäuscht.
Erwartet hatte ich eine Geschichte über die Flucht aus der Sklaverei, eine abenteuerliche, vielleicht vom Steampunk angehauchte Reise um die Welt – etwas in der Art kündigten Klappen- und Werbetexte ja auch an und das Coverdesign unterstützt dies noch. (Letzteres gefällt mir übrigens sehr gut und ich bin froh, dass das Original weitestgehend beibehalten wurde. Nur etwas stärkere Farben hätte ich mir gewünscht, damit es aus der Masse mehr hervorsticht.)
Bekommen habe ich eine Geschichte darüber, wie ein Schwarzer Junge, der in Sklaverei geboren ist, erwachsen wird und dabei allerhand halbwegs interessante Leute kennen lernt, viele positive, aber auch einige schlechte Zufälle erlebt, die Liebe zur Wissenschaft und Kunst entdeckt, für eine Zeit vergisst und sie später wiederfindet, von manchen Menschen aus seiner Vergangenheit nie ganz los kommt und nie wirklich auf der Flucht ist, geschweige denn die ganze Welt sieht.
Geprägt ist Washington Black für mich von Enttäuschungen: Die Erwartungen, die ich vor dem Lesen an das Buch hatte, wurden nicht erfüllt. Während des Handlungsverlaufs wurden stetig neue Erwartungen und Hoffnungen geschürt, die jedes. einzelne. Mal. enttäuscht wurden und das Ende ist für mich eine einzige Enttäuschung an sich.
Ich hatte durchaus ein paar schöne Momente beim Lesen, unterhaltsam ist das Buch phasenweise schon. Aber hätte ich es nicht im Rahmen der Leserunde gelesen, hätte ich es wahrscheinlich abgebrochen. Den Drang hatte ich mehrmals.
Es gibt bessere Bücher über diese Themen.
Autor*in: Esi Edugyan
Übersetzung: Annabelle Assaf
Verlag: Eichborn
Genre/Themen: Historisch, Rassismus, Sklaverei
empfohlen ab 16 Jahren
Preis: 24,00 € (kaufen auf genialokal.de)
ISBN: 978-3-8479-0665-0
Erschienen: 30.08.2019
Format: Hardcover
Umfang: 512 Seiten
Danke an den Verlag und die Lesejury für das Rezensionsexemplar!