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Rezension: Alle drei Tage. Warum Männer Frauen töten und was wir dagegen tun müssen | Laura Backes & Margherita Bettoni

Triggerwarnung

Wie der Titel erahnen lässt, behandelt dieses Buch Femizide: Morde an Frauen, meist durch Männer. Diese und andere (teilweise sexualisierte) Gewalthandlungen gegen Frauen werden nicht nur im analytischen Teil genannt, sondern auch in Protokollen von den Opfern selbst detailliert beschrieben. Wenn das etwas ist, das bei dir triggernd wirkt, dann solltest du das Buch nicht lesen. Das Buch selbst enthält ebenfalls eine Triggerwarnung.

In dieser Rezension bemühe ich mich, triggernde Inhalte zu vermeiden, doch durch das Thema des Buches ist das leider nicht immer möglich. Konkrete Beispiele werden von mir nicht genannt. Sollte dir beim Lesen etwas auffallen, das anders geschrieben weniger schädlich ist, dann mach mir bitte in den Kommentaren oder per E-Mail einen Verbesserungsvorschlag und ich korrigiere das schnellstmöglich!

Vor der Lektüre

Zahlen, Daten, Fakten – das ist es, was ich mir von Alle drei Tage erhofft habe. Ich erwartete gut recherchiertes Wissen und praktisch umsetzbare Vorschläge, wie man die allgemeine Situation für Frauen verbessern kann, denn das verspricht der Untertitel. Auch mit Emotionen habe ich gerechnet: Bei diesem Thema fällt es wahrscheinlich den meisten Menschen schwer, gefühlskalt zu bleiben.

Vorab zitiere ich zwei Textstellen, die meiner Meinung nach enorm wichtig für das Verständnis dieses Buches sind:

Wir sprechen in der Regel von „Männern“ und „Frauen“ – verstehen das aber nicht im zweigeschlechtlichen Sinn. Denn wir sind uns zum einen bewusst, dass das Problem genauso trans* Frauen und trans* Mädchen betrifft. Zum anderen wissen wir, dass geschlechtsspezifische Gewalt sich auch gegen Menschen richtet, die sich als nichtbinär verstehen beziehungsweise sich nicht als Frauen identifizieren, aber von den Tätern als solche wahrgenommen werden.

Alle drei Tage, Seite 14

Neben diesem inklusiven Verständnis gefällt mir sehr gut, dass die Autorinnen sich auf die Opfer konzentrieren, nicht auf die Täter. (Täter gendere ich bewusst nicht, da in diesem Kontext Männer gemeint sind.) Das passiert in öffentlicher Berichterstattung zu genüge und, so merkwürdig es bei diesem ernsten Thema auch klingen mag, ich fand es sehr erfrischend diesen Perspektivwechsel zu lesen. Ich wünsche mir, dass sich beispielsweise Zeitungsartikel zukünftig in diese Richtung bewegen.

Eines unserer wichtigsten Anliegen war es, Frauen in den Mittelpunkt unseres Buches zu stellen. Wenn über einen Femizid in den Medien berichtet wird, liegt der Fokus häufig auf dem Täter. Man erfährt, was der Mann für ein Mensch war, welche Hobbys er hatte und welche Gefühle ihn vermutlich zum Mord bewegt haben. Wir dagegen möchten mit diesem Buch den Frauen eine Stimme geben. Zwischen den analytischen Kapiteln finden sich deshalb die Protokolle von fünf Frauen, die einen Femizidversuch überlebt haben.

Alle drei Tage, Seite 16 f.
Alle drei Tage. Von Laura Backes und Margherita Bettoni. Das der weiße Buchblock ist von der Seite zu sehen. Aus dem Buch gucken orange Klebezettel heraus. Das Buch liegt auf einem ansonsten leeren weißen Regalbrett vor weißem Hintergrund.

Studien, Recherche und Protokolle

Diese drei Dinge sind es, auf denen Alle drei Tage aufgebaut ist. Ich habe beim Lesen oft gemerkt, wie gut recherchiert das Buch ist: Studien und Forschende werden namentlich genannt und angehängt ist ein Literaturverzeichnis. Dadurch lässt sich bei Bedarf nachverfolgen, woher die Autorinnen ihre Informationen bezogen haben, und man kann auch selbst tiefer graben.

Das ist mir bei Büchern wie diesem sehr wichtig. Wenn mit Zahlen und Fakten um sich geworfen wird, habe ich als Leserin das Bedürfnis, den Wahrheitsgehalt überprüfen zu können. Oft ist die Interpretation der Studienergebnisse eben genau das: Interpretation, Auslegung. Auch wenn ich persönlich es nicht immer prüfe, finde ich es wichtig und gut, wenn die Möglichkeit dazu in Form eines Verzeichnisses gegeben wird.

Ich habe mir in Alle drei Tage so viel angestrichen wie schon lange nicht mehr, weil einfach so viele wichtige Dinge auf sehr knappem Raum vermittelt werden. Die orangen Klebezettel, die ihr auf den Fotos seht, markieren nur ganz elementare Stellen oder den Anfang einer ganzen Reihe von Unterstreichungen.

Gut gefällt mir die Aufteilung: Analysekapitel und Protokolle von Überlebenden und Angehörigen wechseln sich ab. Durch diese „Häppchen“ lässt sich das Buch auch super am Stück lesen: wenn ich nach einem Protokoll emotional aufgewühlt war, konnte ich die Zeit, die ich für ein normales Kapitel brauchte, zum Verarbeiten nutzen. Ich wurde nicht überfordert von dem Beschriebenen, so heftig es teilweise auch ist. Da jeder Mensch solche Dinge unterschiedlich gut und schnell verarbeiten kann, seht das bitte nicht als allgemeingültige Aussage. Dies ist nur meine persönliche Erfahrung mit diesem Buch.

Ein großer Pluspunkt ist in meinen Augen auch, dass man nonstop den Respekt spürt, den die Autorinnen den Opfern und Angehörigen entgegenbringen. Den Zorn gegenüber den Tätern und den gesellschaftlichen Normen, die sie erst zu Tätern machen. Was man nicht vergessen darf: die Autorinnen sind Frauen. Diese Perspektive und den damit einhergehenden persönlichen Bezug zur Thematik des Femizids erkennt man durchaus. Ich finde aber, dass die Gratwanderung zwischen „ich bin sauer und schreibe ein Buch über ein Thema, das mir am Herzen liegt“ und „ich habe Studien analysiert und schreibe jetzt sachlich die Fakten auf“ sehr gut gelungen ist.

Minuspunkte: zu wenig Vorschläge und im letzten Drittel viele Schreibfehler

Eigentlich gibt es nur zwei Dinge, die mich an Alle drei Tage stören. Im letzten Drittel häuften sich die Schreibfehler, was ich auf Zeitdruck im Korrektorat zurückführen möchte. Inhaltlich nimmt die Qualität nämlich nicht ab. Und der zweite Punkt ist, dass mir die versprochenen zukunftsorientierten Verbesserungsvorschläge fehlen. Ja, es wird berichtet, wie einzelne Polizeibeamte oder Behörden gegen Femizide vorgehen möchten. Es wird der dpa-Chef zitiert, als es um die Verwendung des Begriffs „Femizid“ anstelle von beschönigenden und falschen Floskeln à la „Familientragödie“ oder „Beziehungsdrama“ geht. Aber mir fehlen noch mehr Ideen und Vorschläge. Vielleicht auch Dinge, die jede*r in ihrem*seinem persönlichen Umfeld tun kann.

Fazit

Gut gefällt mir dieses Zitat aus dem letzten Kapitel mit dem Titel „Ein weiter Weg: Was in Deutschland getan wird und was noch zu tun ist“, das für mich auch eine Art Fazit des gesamten Buches ist:

In diesem Buch liegt der Schwerpunkt bewusst auf Frauen. Wenn es aber um die Frage geht, was sich ändern muss, um die Lage von Frauen in Deutschland zu verbessern, müssen Männer in den Fokus genommen werden. Und zwar nicht nur solche, die bereits Täter sind, sondern alle. Viel zu oft verstecken sich Männer hinter Alibis wie „nicht alle Männer sind so“ oder „ich bin aber nicht so“. Doch bei Femiziden handelt es sich nicht um ein individuelles, sondern um ein kollektives Problem, das man bekämpfen kann, selbst wenn man selbst nicht gewalttätig ist. Denn solange es gesellschaftlich toleriert ist, wenn Männer Besitzansprüche auf ihre Partnerinnen erheben – und sei es auch nur implizit -, wird es Femizide geben.

Alle drei Tage, S. 196

Alle drei Tage beschreibt die weltweite Problematik des Femizids aus deutscher Perspektive. Wir lernen, wie einzelne Staaten dagegen vorgehen und von wem wir uns eine Scheibe abschneiden könnten. Wir erfahren Zahlen und Statistiken, die erschreckend, aber leider nicht überraschend sind. Wir erfahren von Einzelschicksalen, die leider repräsentativ verstanden werden können.
Die Autorinnen vermitteln geballtes Wissen für alle, die sich mit der Thematik noch nicht so gut auskennen, aber auch für diejenigen, die auf den neusten Stand gebracht werden möchten – denn die Zahlen sind so aktuell, wie es nur geht.
Alle drei Tage ist emotional, und doch sachlich.

Ein wirklich gutes und wichtiges Buch, wenn ihr mich fragt. Lest es, sofern es für euch nicht (re-) traumatisierend ist!

Alle drei Tage. Von Laura Backes und Margherita Bettoni. Rückseite mit Klappentext. Aus dem Buch gucken orange Klebezettel heraus. Das Buch steht auf einem ansonsten leeren weißen Regalbrett vor weißem Hintergrund.

Dank geht raus an den Verlag und das Penguin Random House Bloggerportal für das Rezensionsexemplar!


Bibliografische Daten

Titel: Alle drei Tage. Warum Männer Frauen töten und was wir dagegen tun müssen
Autorinnen: 
Laura Backes und Margherita Bettoni
Verlag: 
DVA
Genre/Zielgruppe:
 Sachbuch, Deutschland, Verbrechen, Femizid. Triggerwarnung beachten!

Preis: 20,00 € (kaufen auf genialokal.de)
ISBN: 
978-3-421-04874-5
Format: 
Hardcover mit Schutzumschlag
Umfang: 
208 Seiten
Erschienen: 
01.03.2021


Weitere Meinungen zu Alle drei Tage

„Ich bin den beiden Autorinnen mehr als dankbar für dieses Buch – und auch den Frauen, die ihre Geschichten so mit der Öffentlichkeit teilen. Für mich ist „Alle drei Tage“ mit Abstand eines der besten und wichtigsten Bücher des Jahres!“

Luna von Lebensbetrunken

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