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[Studium] Bleisatz 1

Mir fiel lange nichts ein, das ich euch über mein Studium erzählen könnte. Inhaltlich ist vieles zwar interessant, aber ich kann die Themen nicht wirklich so weit herunterbrechen, dass sofort verständlich ist, worum es geht. Dieses Semester sieht es etwas anders aus, denn ich bin endlich (nach dem dritten Versuch) in den Bleisatz-Kurs gekommen. Und das ist ein Thema, das nicht nur für die Lesesüchtigen spannend sein kann, sondern auch für alle, die handwerklich interessiert sind oder geschichtlich oder auch alles gemeinsam. Leider ist dieser Kurs für mich bereits beendet, da er nur vier Wochen lang war, aber ich habe viel gelernt und möchte jetzt versuchen, euch etwas davon weiterzugeben.

Ich werde also ab heute jeden Sonntag im Dezember ein bisschen über Bleisatz an sich schreiben, über den Kurs und über die Erkenntnisse, die ich mit nach Hause genommen habe.

Bleisatz Setzkasten

 

Auf eure Gedanken zu dem Thema bin ich sehr gespannt und ich freue mich auf Kritik und Ideen!


Woche 1, oder:
Wo bin ich hier, was ist das alles, wieso vergeht die Zeit so schnell?

In meinem Buchwissenschaftsstudium gibt es ein Modul „Softskills“, das pflichtgemäß absolviert werden muss, innerhalb dessen wir Studierende aber zwischen verschiedenen Kursen wählen können. Bleisatz ist neben Archivkunde, Präsentationstechniken und anderen Themen einer davon. Dieser Kurs findet im Keller eines unserer Unigebäude statt. Dort stehen in einem Raum noch zwei alte Druckmaschinen und Unmengen an Setzkästen mit allem Zeugs, das man halt zum Bleisatz bzw. Drucken braucht. Die Grundfläche des Raumes würde ich auf etwa 20m² schätzen. Es ist also schon so recht kuschlig dort, weshalb nur vier Studierende ein einen Kurs passen (pro Semester werden drei Kurse abgehalten, also haben zwölf Leute die Chance auf die Teilnahme – daher hat es bei mir auch drei Anläufe gebraucht; die Nachfrage ist einfach riesig und das Angebot sehr begrenzt). In meinem Kurs waren wir drei Mädchen und ein Junge, was die Geschlechterverteilung in unserem Studiengang ganz gut wiederspiegelt. Die Lage im Keller und die schlechten Belüftungsmöglichkeiten sorgen dafür, dass es immer gut warm und sauerstoffarm dort ist, besonders, wenn die Maschinen laufen. Es gibt keine Stühle, denn es wird im Stehen gearbeitet. Mal sollte also gut gefrühstückt haben: Der Dozent erzählte uns, dass es durchaus schon vorgekommen sei, dass Leute kreislaufbedingt umgekippt sind. Ein weiterer unangenehmer Punkt ist die Tatsache, dass Bleisatz mit, nun ja, Blei funktioniert. Und das ist eben nicht sonderlich gesundheitsförderlich. Mal eben die Augen reiben oder an den Fingern lecken, während man mit den Lettern zugange ist, wäre zwar nicht tödlich, sollte aber möglichst vermieden werden. Es gibt also ein Waschbecken mit starkem Desinfektionsmittel beziehungsweise einer speziellen Seife und einer Handcreme, die ebenso stark rückfettend für die arme Haut wirkt – und auch nötig ist, meiner Erfahrung nach. Soviel zu den äußeren Umständen.

Das erste, was wir nach Betreten des Raums taten, war das Anziehen eines grauen Kittels. Quasi das graue, dreckige, zum Arbeiten gedachte Äquivalent zum weißen Medizinerkittel. Dann wurde die Anwesenheit abgefragt (nach der ersten Veranstaltung war das nicht mehr nötig, vier Namen kann sich der Dozent dann doch merken ^^) und es gab eine Sicherheitseinweisung: Nicht die Finger in die Maschinen stecken, erst recht nicht, wenn diese laufen; nicht am Blei lecken (auch nicht an den Dingen, die nicht mehr aus Blei, sondern aus Zinn oder Aluminium sind); das Gewicht auf beiden Beinen tragen, damit man die zwei Stunden am Stück stehen durchhält. Im Grunde hieß es: Ihr dürft alles anfassen, aber fasst bloß nichts an! Es wurde ein Handout ausgeteilt (Wow, gibt es eine nicht-gedoppelte Weise, diesen Satz zu formulieren?), auf dem ein Setzkastensystem und die Arbeitsschritte des Setzens abgebildet, die Merkmale eines Buchstabens benannt und Schriftgrößen und ihre Fachbegriffe erklärt sind. Ein paar dieser Abbildungen werden hier noch auftauchen.

Dann hat der Dozent mit so vielen Fachbegriffen um sich geworfen, dass ich nur noch Bahnhof verstanden habe. Witzigerweise kann ich rückblickend ziemlich genau verstehen, was er da erzählt hat. Nach vier Wochen ohne intensive Vokabellernphase konnte ich ganz einfach durch die Anwendung des zu Lernenden alles verinnerlichen. Das ist ein perfektes Beispiel dafür, dass durch Praxis das Lernen einfacher und erfolgreicher wird. Unsere erste Aufgabe war das Setzen unseres Namens auf einen sogenannten Winkelhaken. Das ist eine Metallschiene mit einer Klemmfunktion (keine Ahnung, ob diese einen Eigennamen hat), mit der man die Zeilenlänge genau abmessen kann und auf der die Zeilen einzeln gesetzt werden. Wir wurden also an jeweils einen Setzkasten gestellt. Setzkästen sind die Dinger, die man, nachdem sie nicht mehr zum Setzen gebraucht wurden (schließlich geht drucken mit dem Computer etwas einfacher), zum Sortieren und Präsentieren von Ü-Ei-Figuren und anderem Kleinkram genutzt hat. Also diese Holzkästen mit den vielen kleinen Fächern. In ihrer originalen Verwendung sind in jedem Fach Lettern, logischerweise sortiert nach Buchstaben. Allerdings nicht alphabetisch! Setzkästen sind rechtshänderorientiert. Das bedeutet, dass die Buchstaben, die man am häufigsten nutzt (im Deutschen sind das zum Beispiel die kleinen e und n), im mittleren unteren drittel des Kastens angeordnet sind. So kann man schnell mit der rechten Hand – man arbeitet immer mit rechts, die Linkshänder sind da schlecht dran – danach greifen. Umlaute, ck, ú, æ und andere selten genutzte Buchstaben sind eher auf der linken und eher auf der unteren Seite angeordnet. Das bedeutet, das Alphabet spielt in der Sortierung keine bis eine sehr geringe Rolle. Interessanterweise hinderte mich das nicht daran, das System schnell zu durchschauen und ziemlich gut mit dem Setzkasten zurecht zu kommen. Ohne mich jetzt großartig loben zu wollen (das hat der Dozent schon zu genüge getan): Ich war von uns vieren diejenige, die am schnellsten am Kasten arbeiten und damit am schnellsten den meisten Text setzen konnte. Mein Kommilitone sagte, als ich ihn fragte, wo sein größtes Problem beim Setzen liege (abgesehen von seinen zittrigen Händen [Raucher]), dass er alphabetisch denkt und a, b, c oben links sucht und x, y, z unten rechts. Das kann ich sehr gut nachvollziehen, schließlich merke ich mir beispielsweise Namen auch alphabetisch und kann sonst selten abstrakt denken. Hierbei war es aber einfach nur wichtig, ein Gespür dafür zu haben, wie oft ein Buchstabe im Deutschen wohl genutzt wird und dementsprechend gleich in der richtigen Ecke des Kastens zu suchen, anstatt alle Fächer abzuklappern.

setzkasten
Ein typischer Setzkasten. Bildquelle.

Fun Fact: An der Wand des Bleisatzraumes hängt ein Zettel, auf dem (noch in Fraktur) eine Art Einkaufsliste abgebildet ist. Dort steht, wie oft welcher Buchstabe aus einem Zentner (also 50kg) Blei gegossen werden sollte. Die genauen Daten habe ich nicht mehr im Kopf, aber die Menge vom kleinen e war fünf- oder sechsstellig, während gerade einmal zwanzig Mal das kleine q gegossen wurde. Man hat also die Nutzung direkt in die Produktion einbezogen. Und auch an der Abnutzung der Buchstaben kann man die Häufigkeit der Verwendung erkennen: x und q sind nicht selten noch silbrig glänzend, während besonders e und n die dunkelsten und mit den meisten Kratzern versehenen sind.

Nach dem Setzen unseres Namens war erstaunlicherweise kaum noch Zeit, um etwas anderes anzufangen. Die zwei Stunden sind so schnell vergangen! Wir haben Fragen gestellt (Was zum Henker ist ein Cicero – und was hat der Römer mit Bleisatz zu tun?!) und beantwortet bekommen und uns wurde noch die Funktion der Maschinen demonstriert, wobei wir natürlich Abstand halten mussten, bis sie wieder aus waren – Finger in der Maschine, ich erwähnte es ja bereits. Das ist allerdings auch keine übervorsichtige Ansicht des Dozenten, sondern eine Notwendigkeit. Die eine Maschine ist eine Original Heidelberg – wenn ich es richtig verstanden habe, der Mercedes unter den Druckmaschinen dieser Zeit. Diese Maschine zieht selbstständig Blätter ein, presst sie gegen die manuell eingesetzte Druckplatte und legt sie auf einem zweiten Stapel wieder ab. Damit das Papier nicht an der frisch aufgedruckten Tinte zusammenklebt, besprüht sie diese mit einem hauchfeinen Pulver, das tatsächlich wie ein Puffer zwischen den einzelnen Seiten funktioniert, obwohl man es kaum sehen kann. Diese Presse wiegt so viel wie ein Kleinwagen und drückt das Papier mit einer Kraft von 40 Tonnen (!) an die Druckplatte. Das dürfte Grund genug sein, während des Druckens Abstand zu halten… Die Farbe wird hinten eingefüllt und über mehrere Zylinder an die Druckplatte geführt. Dabei wechseln sich massive Rollen und weiche, nachgiebige ab, sodass die Dicke der Farbe auf den Rollen immer etwa halbiert wird, ehe sie auf die Druckform aufgetragen wird. So verhindert man, dass zu viel Farbe verwendet und damit das Druckergebnis unrein wird, indem zum Beispiel die Innenräume von e, a oder o volllaufen. Die andere Druckmaschine erkläre ich ein anderes Mal, da wir damit letztendlich selbst gedruckt haben.

Diese erste Veranstaltung des Bleisatzkurses habe ich mit vielen Erfolgserlebnissen abgeschlossen: ich habe verstanden, was mir erzählt wurde, konnte tatsächlich selbst aktiv werden (anstatt immer nur still in einer Vorlesung zu sitzen) und das, was ich tun sollte, war nicht nur einfach, sondern hat auch noch Spaß gemacht. Meine Fragen wurden nicht als Nonsens abgetan, sondern so beantwortet, dass ich damit arbeiten konnte, ich habe viel neues gelernt und als i-Tüpfelchen noch festgestellt, dass ich mich nicht einmal dumm anstelle. Wie soll das noch besser werden?


Jetzt bin ich gespannt auf eure Kommentare:

Habt ihr schon von Bleisatz gehört? Hat jemand das vielleicht sogar schon selbst ausprobiert? Wie hat euch mein Bericht gefallen und wollt ihr mehr darüber lesen? Gibt es bestimmte Aspekte, auf die ihr neugierig seid?

7 Kommentare

  1. karin

    Huhu Henrike,

    nun Mainz da wurde doch der Buchdruck erfunden……gell !! Gutenberg
    Deshalb finde ich solche Berichte schon spannend .

    Ich selber hatte früher zu Weihnachten einen Setzkasten geschenkt bekommen , war aber aus Gummi. Und gerade das Umdenken mit den Buchstaben fand ich als Kind schon sehr schwierig !!

    Also bitte weiter…LG..Karin…

    • Hey,
      ja, das war in Mainz, jedenfalls ist man sich da ziemlich sicher (obwohl die Koreaner wohl schneller waren). Das Umdenken der Buchstaben ist gar nicht schwer, man kann sie ja über Kopf immer noch lesen. Was schwierig ist, kommt nächste Woche dran… 🙂
      Danke für dein Feedback! LG.

  2. Moin Henrike,

    Wahnsinn, was für ein spannendes Thema. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass Dir da ziemlich der Kopf geschwirrt hat, bei all den Fachbegriffen und neuen Dingen und der Aufregung. Mir zumindest schwirrt jetzt nach dem Lesen schon der Kopf und ich bin gespannt, was Du Weiteres zu berichten haben wirst.

    Ich hatte auf der Buchmesse mal überlegt, ob ich in der Antiqua-Dingsabteilung mal die Buchdruckmaschine ausprobiere, aber irgendwie hat das zwischen all den Terminen und dem gestöber dann zeitlichnicht mehr hingehauen. Irgendwann klappt es vielleicht ^^

    Liebe Grüße und einen schönen Restsonntag,
    Jess

    • Hey Jess,
      das ist tatsächlich sehr spannend und interessant. Und ja, mein Kopf brauchte auch erst mal eine Ladung Tee, bis er wieder funktionierte…
      Wie bitte?! Auf der Buchmesse war eine Druckmaschine zum ausprobieren? Waas?! Wieso hab ich das nicht mitbekommen? Die Welt und ihre Zeitpläne sind so unfair… Aber wenigstens hatte ich durch die Uni die Chance, das zu lernen – ob ich es noch nutzen kann, ist eine ganz andere und unwichtige Frage. 🙂
      Schön, dass du deinen Weg hierher gefunden hast! Dir auch einen schönen Restsonntag und LG!

  3. Wirkt man im grauen Kittel auch gleich viel wichtiger? Im weißen Laborkittel wirkt man auch vollkommen verschmutzt immer noch irgendwie als ob man wüsste was man tut.

    Auf jeden Fall fand ich deinen Bericht total interessant. Ich habe mir bisher nie Gedanken gemacht in welcher Reihenfolge wohl die Buchstaben im Setzkasten angeordnet sind…

    Liebe Grüße,
    Lena

    • Na, ich kam mir eher vor wie ein kleiner unwichtiger Helferling vom Helferling des großen Anführers. Aber ja, optisch wirkte das schon, als hätten wir Ahnung. 🙂
      Das freut mich. (Ich mir vorher auch nicht.) Vielleicht magst du ja nächsten Sonntag weiterlesen?
      Liebe Grüße,
      Henrike

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