Ich weiß ja nicht, wie es euch geht, aber mir juckt es bei den ersten kräftigen Sonnenstrahlen des Jahres immer in den Fingern: ich will aus dem Haus raus, meine Finger in Erde vergraben und meinen Balkon auf Blumen und Gemüse vorbereiten. Ich will die Nase in den Wind halten, tote Pflanzen entsorgen, den Dreck des Winters wegschrubben. Kaputte Töpfe entsorgen und neue Saat ausbringen.
Auch dieses Jahr voller Kompromisse und Einschränkungen (die total berechtigt und nötig sind, btw) macht darin keinen Unterschied. Bei allen Säuberungsaktionen und dem Aussäen von Tomaten, Zucchini und Salaten auf der Fensterbank (draußen ist es halt noch etwas zu kalt) kommt mir aber auch immer das Grübeln: wie kann ich meinen Mini-Balkon noch schöner gestalten? Schöner, aber auch praktischer? Ich bin ja froh, überhaupt einen Balkon zu haben, aber er ist nun mal klein und hat 2 Türen. Viele tolle Sachen, die ich anderswo entdecke, lassen sich bei mir einfach nicht umsetzen.
Deshalb habe ich neugierig in den Ratgeber Balkon. Einrichten – Pflanzen – Genießen von Lotte Coers hineingeschaut, auf der Suche nach praktisch anwendbaren Tipps und Tricks, nach Inspiration und cleveren Ideen für platzsparendes Gärtnern auf dem Balkon. Auch DIYs habe ich mir gewünscht oder Tipps, wie beim Einrichten Geld gespart werden kann.
Aufbau
Das Buch hat ein kleines Format und ist sehr handlich, dabei aber auch von guter Qualität. Balkon ist unterteilt in 7 Kapitel, allerdings hätte man einige deutlicher benennen können. Überschriften wie „Grün“ oder „Von drinnen nach draußen“ helfen leider nicht besonders bei der Suche nach speziellen Infos. Die Fotos und Illustrationen passen super zusammen. Es gibt mehrere Interviews mit verschiedenen Experten, zum Beispiel mit einem Designer und einer Imkerin. Auch Rezepte für Drinks oder zum Grillen stehen im Buch. Mein erster Eindruck war sehr gut und ich war gespannt, was für Tipps ich beim genaueren Lesen entdecken würde.
Zu wenig Praxisbezug und inhaltliche Widersprüche
Und dann kam die Enttäuschung: viele der Tipps und Hinweise, die Coers hier zusammengetragen hat, setzen eine bestimmte Art Balkon voraus. Eine Wand muss er haben, an der man Regale oder Rankgitter anbringen kann. Im Idealfall ist in dieser Wand sogar ein Schrank eingebaut. Mein eigener Balkon hat zwar eine Wand, aber diese Wand besteht aus 2 Glastüren und einem großen Fenster dazwischen. Da ist nichts mit an die Wand hängen. Viele der im Klappentext als „praxiserprobte Hacks“ beschriebenen Tipps sind für mich also nicht umsetzbar. Hier hätte ich mir mehr Variation gewünscht, breitere Möglichkeiten für verschieden geschnittene Balkone. Mehr Tipps für Blumenampeln zum Beispiel oder für platzsparendes Pflanzen im Blumenkasten, der am Balkongeländer hängt.
Und dann sind da noch die inhaltlichen Widersprüche. Während im einen Satz steht, dass viele Balkone nur 4m2 Grundfläche haben, wird im nächsten Absatz empfohlen, aus Paletten eine Sitzecke zu bauen, mehrere große Töpfe mit Bambus zu bepflanzen, um einen Sichtschutz zum Nachbarn zu bilden, und am besten auch noch eine Hängematte aufzuhängen. Ach, Tisch und Stühle nicht vergessen! Ernsthaft, da passt doch irgendwas nicht zusammen. Und erst betont die Autorin – zurecht -, dass man bei Möbeln und Pflanztöpfen wegen der Statik des Balkons das Gewicht möglichst gering halten sollte – nur, um dann zu beschreiben, wie sich aus einem BAUMSTAMM ein Hocker bauen lässt. Gewichtsreduktion würde ich das jetzt nicht unbedingt nennen…
„Tipps für den kleinen Geldbeutel“ – Wie definiert die Autorin bitte „klein“?!
Balkon beinhaltet mehrere Infoboxen, in denen Tipps knapp zusammengefasst werden – ein bisschen wie die Grammatikkästen im Deutschbuch in der Schule. An sich eine gute Sache, doch einer stach mir sehr negativ ins Auge: „Tipps für den kleinen Geldbeutel“, also genau das, was ich ursprünglich gesucht hatte. Aber was musste ich lesen: Holzpaletten benutzen, um selbst Möbel zu bauen statt welche zu kaufen; „einfache Terrakottatöpfe“ zum Bepflanzen nutzen. Leute, wisst ihr, wie teuer sowas ist, wenn man damit einen ganzen Balkon einrichten will (auch, wenn er nur 4m2 hat)?
Bei Obi bezahlt man (Stand 23.02.2021) für einzelne Paletten je nach Farbe zwischen 17€ und 33€. Die Kissen der Rückenlehne kosten 40€, die Sitzkissen 60€. Das finde ich jetzt nicht unbedingt günstig. Ein Terrakotta-Topf, der groß genug für meine Tomaten, Zucchini und andere Pflanzen ist, kostet 13€ und aufwärts. Davon brauche ich aber nicht nur einen, sondern mindestens 5, also sind das mal eben 65€ oder mehr. Auch den Betrag finde ich nicht mal eben so im „kleinen Geldbeutel“ – erst recht nicht, wenn ich Töpfe UND Paletten UND Kissen kaufen will.
Zugegeben, in dieser Rubrik stehen auch Tipps wie selbstgemachte Windlichter aus Gläsern und leere Bierkisten, aus denen man Hocker machen kann. Aber, seien wir ehrlich: das ist nichts neues. Und die übrigen Dinge, die hier empfohlen werden, fühlen sich für mich als Person mit wirklich kleinem Geldbeutel einfach an wie gelebter Klassismus. Ich frage mich, wie viel Geld jemandem zur Verfügung stehen muss, damit das Ausgeben von bestenfalls 117€ für ein selbstgebautes Sofa in die Kategorie „kleiner Geldbeutel“ fällt. (Das ist jetzt kein Angriff auf die Autorin, also bitte nicht falsch verstehen: die Frage stelle ich mir wirklich, ganz wertungsfrei.) Und das ist erst eine Palette mit Kissen; die Autorin empfiehlt eine ganze Sitzecke. Da kaufe ich lieber eine professionell gebaute Bank für 86€ und habe auch noch Stauraum darunter1 – oder, noch besser, suche nach gebrauchten Möbeln.
Es fehlen Details und Erklärungen
An anderer Stelle gibt Coers eine detaillierte Beschreibung, wie man einen Topf richtig bepflanzt. Das finde ich erst mal richtig gut, denn beispielsweise die Drainage (eine Schicht aus Kieseln oder Tonscherben unter zwischen Topfboden und Erde) vergesse ich selbst gern mal. Aber dann kommt der Schritt „Topfabdeckung: Kleiden Sie die Innenseite Ihres Topfes mit recycelter Kunststofffolie aus, damit die Erde nicht austrocknet.“ (S. 18) Warum soll ich einen Tontopf, der mir ja in diesem Buch empfohlen wird, mit Folie auskleiden, und wenn sie noch so oft recycelt wurde? Ein Tontopf hat die ganz besondere Eigenschaft, Wasser in einem gewissen Maß speichern zu können. Dadurch verhindert er zum Beispiel auch Staunässe. Warum sollte ich das mit Folie verhindern?
Klar, wenn du einen Topf aus Korbgeflecht oder einer Weinkiste selber baust, dann brauchst du eine Folie. Aber in dieser Anleitung steht nichts davon, woraus der zu bepflanzende Topf besteht. Auch nicht in dem ersten Schritt, in dem es heißt, man solle Löcher in den Boden bohren oder stechen, damit das Wasser ablaufen kann. In Terrakotta gestaltet sich das etwas schwieriger, aber bei Plastik ist das Durchstechen natürlich kein Problem. Was mich hierbei stört sind die fehlenden Details. Wenn eine Step-by-Step-Anleitung verfolgt werden soll, dann braucht man auch Details. Sonst steht man hinterher mit einem durchlöcherten, vielleicht zersprungenen Tontopf da, dessen Innenseite mit Folie verklebt ist. Das möchte doch niemand.
Im Kapitel „Zeit für einen Drink“, in dem sich die Rezepte für Smoothies oder BBQ-Spieße finden, schreibt die Autorin den „Tipp: Weichen Sie die Holzspieße mindestens 30 Minuten in Wasser ein.“ Ich habe eine Frage: Warum? Damit sie nicht anbrennen? Das kann man auch mit dem Anheben des Grillrosts erreichen. Aber das schreibt die Autorin nicht. Wenn ich wüsste, was mir das bringt, wäre das ein wirklich guter Rat. Aber weder in diesem kleinen Infokasten noch im Text drum herum wird das Einweichen erneut aufgegriffen.
Vielleicht findet ihr meine Kritikpunkte etwas pingelig, aber ganz im Ernst: ein Buch, das „praxiserprobte Hacks“ verspricht, sollte wirklich praktische Tipps enthalten. Tipps, die verstanden werden können und vollständig sind. Sonst bringt es doch gar nichts, dieses Buch zu lesen.
Interviews
Ich bin mir unsicher, ob ich die Interviews gut finde oder ob sie mich im Rahmen dieses Ratgebers stören. Sie sind zwischen die übrigen Kapitel eingestreut und bieten zwar interessante Infos über beispielsweise die Tätigkeit einer Stadtimkerin, auch mit nützlichen Hinweisen auf bienenfreundliche Balkone. Was dagegen eine vegane Fertiggericht-Köchin und ein Produktdesigner in diesem Buch verloren haben, das verstehe ich ehrlich gesagt nicht. Zumal Balkone in diesen Interviews kaum erwähnt werden.
3 Kapitel zum Thema Nachhaltigkeit
So wichtig Nachhaltigkeit auch ist: braucht es in einem 110-Seiten-Buch mit dem Titel Balkon. Einrichten – Pflanzen – Genießen ganze 3 Kapitel dazu? Hinweise auf einheimische Pflanzen finde ich gut und auch Informationen zu den Materialien der Einrichtung können relevant sein. Aber in einem Buch über Balkone brauche ich keine Erklärung, wie man nachhaltig putzt. Den Absatz „Haben Sie eine Putz- oder Haushaltshilfe? Dann besprechen Sie mir ihr, wie sich das Waschen und Putzen möglichst umweltfreundlich erledigen lässt.“ verknüpfe ich in Gedanken übrigens wieder mit dem „kleinen Geldbeutel“…
Und auch Mülltrennung ist zwar wichtig, doch in Balkon finde ich diese Thematik fehl am Platz. Es geht nämlich nicht um die Trennung von Abfällen, die auf dem Balkon entstehen könnten, sondern um Mülltrennung generell. Für mich sind die Interviews – mit Ausnahme der Imkerin – und mindestens 2 der 3 Nachhaltigkeits-Kapitel verschwendete Seiten, die man besser hätte füllen können.
Was mir gut gefällt
Neben all der Kritik enthält Balkon aber auch einige sehr nützliche Tipps und Infos, weshalb ich es nicht total schlecht finde. Zum Beispiel werde ich mir die Seite markieren, die Hinweise für Nord-/Ost-/Süd-/Westbalkone bietet: welche Pflanzen, worauf sollte man achten. Die Pflanzentipps für die verschiedenen Jahreszeiten finde ich ebenfalls ziemlich hilfreich. Positiv finde ich auch den Teil, der sich mit Insektenfreundlichkeit befasst und die Liste mit weiterführenden Adressen am Ende. Die Liste mit heimischen Pflanzen werde ich definitiv durchgehen und schauen, welche davon sich auf meinem Südbalkon wohlfühlen könnten. Und die Erwähnung der Wichtigkeit von Stauraum hat mir den letzten Anstoß gegeben, mich nach einem vernünftigen kleinen Regal umzusehen – nach einem Regal, das man hinstellen kann.
Fazit
Insgesamt kritisiere ich viel an dem Buch. Es hält nicht wirklich, was es verspricht und verwendet zu viel Platz für Themen, die hier eigentlich nichts verloren haben. Mir fehlen wirklich praktische Tipps, die universell anwendbar sind oder Tipps für viele verschiedene Balkone. Es mangelt an Details in Anleitungen und Begründungen für Dinge, die angeblich besser sind als andere.
Ich habe den Eindruck, dass dieses Buch sich an Menschen richtet, die bisher weder auf Nachhaltigkeit geachtet haben und das ändern möchten; die ansehnliche Beträge auf dem Konto liegen haben, um von heute auf morgen ihr Projekt Balkon umzusetzen; die sich ab und zu mit einem Glas Wein auf den Balkon setzen und dabei gern einen oder zwei Blumentöpfe anschauen wollen. Ich glaube nicht, dass das Buch für Leute geeignet ist, die schon länger auf dem Balkon gärtnern und Geheimtipps suchen oder die ein bisschen aufs Geld achten müssen.
Vielleicht hätte man einzelne Kapitel für Grundlagen (Wie bepflanze ich einen Topf, welche Möbel/Beleuchtung/… gibt es, wie kann ich Gewicht reduzieren, …) und verschiedene Balkone (Himmelsrichtungen und dazu passende Pflanzen, eine oder zwei Türen, mit/ohne nutzbare Wand, mit/ohne nutzbare Decke, …) anlegen können? Ich werde mich definitiv nach einem solchen Buch umschauen – denn aus diesem nehme ich leider nicht allzu viel mit.
Bibliografische Daten
1 Nein, ich werde für diesen Artikel nicht von Obi bezahlt. Ich habe einfach den ersten Baumarkt genommen, der bei meiner Ecosia-Suche nach „Paletten“ angezeigt wurde, und habe mich dann auf der Seite auch nach Terrakotta-Töpfen und einer günstigen Holzbank umgesehen. Und nein, von Ecosia werde ich auch nicht bezahlt. Schön wär’s. Die Links füge ich nur als Beleg für meinen Rechenprozess ein.