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Rezension: Ruth Bader Ginsburg. 300 Statements der berühmten Supreme-Court-Richterin | Hrsg. Helena Hunt

Wer war Ruth Bader Ginsburg?

Ruth Bader Ginsburg ist am 18. September 2020 mit 87 Jahren verstorben und hinterlässt ein langes Leben voller Kämpfe um Gerechtigkeit und Gleichberechtigung. Ich habe schon oft ihren Namen gehört, insbesondere im Zusammenhang mit Feminismus, aber ich habe mich nie näher mit ihr beschäftigt. Deshalb habe ich die Chance ergriffen, die sich mir mit diesem Buch bot, um etwas über die Person zu lernen, die so sehr gefeiert wurde. Denn Ginsburg gilt, so der Infotext des Verlags, als „feministische Ikone“, und war Richterin am Supreme Court der USA.

Für alle, die wie ich nicht allzu viel Ahnung vom US-amerikanischen Justizsystem haben: der Supreme Court ist der oberste Gerichtshof der USA. Er besteht aus 9 Richter:innen, die zum Beispiel die Verfassungsmäßigkeit von Entscheidungen anderer Gerichte (z.B. Bundes- oder Bezirksgerichte) beurteilen. Diese Richter:innen haben ihr Amt auf Lebenszeit inne und werden „auf Vorschlag des Präsidenten vom Senat berufen“.1

Ruth Bader Ginsburg war 27 Jahre lang Richterin am Supreme Court und hatte bei ihrer Berufung bereits eine lange Karriere als Richterin hinter sich. In all der Zeit scheint sie viele einprägsame und wichtige Reden und Plädoyers gehalten zu haben. Einige davon sind auszugsweise in diesem Buch zusammengefasst.

Unerfüllte Erwartungen, aber trotzdem okay

300 Statements ist unterteilt in 3 große Kapitel: Freiheitsrechte, das (US-) Gesetz und Ginsburgs eigenes Leben. Unter Freiheitsrechte sind auch feministische Themen gefasst. Obwohl das erste Kapitel mit 79 Seiten das längste ist, hätte ich mir eine stärkere Fokussierung auf Frauenrechte gewünscht. Versteht mich nicht falsch, auch die anderen Themen sind richtig und wichtig. Ich habe allerdings etwas anderes erwartet und finde es etwas enttäuschend, dass 300 Statements inhaltlich doch etwas an meinen Wünschen vorbei geht.

Vieles sind Protokolle aus Gerichtsverfahren, an denen Ruth Bader Ginsburg mitgewirkt hat. Aber, und das ist in meinem Fall der Knackpunkt, es geht dabei logischerweise um das US-amerikanische Recht. Und es werden konkrete Fälle genannt. Ich kann mich jetzt natürlich allgemein über Missstände oder Fehlentscheidungen aufregen, aber viele der konkreten Fälle (be-) treffen mich einfach nicht. Man hätte an manchen Stellen den Kontext der Zitate erklären können, das wäre hilfreich gewesen. Ich hatte mit allgemeingültigen Statements gerechnet, öffentlichen Reden, vielleicht Zitate aus Texten, die Ginsburg verfasst hat. Der Fokus der Herausgeberin liegt ganz eindeutig woanders.

Und ich kann auch verstehen, dass man einen Blick auf die Person Ginsburg wirft, wenn man schon so viele Zitate von ihr sammelt. Aber, ganz ehrlich: dass Ginsburgs lange verstorbene Mutter (laut Ginsburg) stolz auf sie wäre, wenn sie wüsste, dass Ginsburgs Enkelin schon die dritte Frau der Familie ist, die in Harvard studiert – Familiendetails wie dieses interessieren mich einfach nicht. Dafür kann ich eine (Auto-) Biografie lesen. Das ist für mich kein wichtiges Statement, das in eine Sammlung wie diese gehört. Das war jetzt nur ein Beispiel, aber es gibt einige Stellen in 300 Statements, die hier vielleicht nicht ganz richtig platziert sind.

Insgesamt habe ich beim Lesen und auch jetzt, rückblickend mit etwas zeitlichem Abstand, den Eindruck gewonnen, dass die Herausgeberin Helena Hunt eine Art Gesamtwerk produzieren wollte. Man nehme ein bisschen Feminismus, ein paar Gerichtsakten, eine Prise Familiengeschichte, dann hängt man noch eine Zeitleiste dran – es wirkt, als solle es ein großes, allumfassendes (aber stichprobenartig zusammengefügtes) Puzzle sein. Aber es liest sich so, als hätte man hier ein Teil vergessen und da ist ein Teil aus einem ganz anderen Puzzle dazwischen gerutscht. 300 Statements wirkt überladen und trotzdem unfertig – keine gute Mischung!

Ruth Bader Ginsburg. Innenansicht, Seite 64. Zitat vom 16. Oktober 1974, zur Verpflichtung von Frauen zum Geschworenendienst, mündliche Erörterung, Edwards v. Healy. Am Seitenrand sind viele Klebezettel zu sehen.
Nicht so super: Ginsburg spricht von „beiden“ Geschlechtern, schließt also die Existenz von mehr als 2 Geschlechtern aus. Aber das Zitat ist von 1974, man sollte das also nicht zwingend aus heutiger Perspektive beurteilen.

Ich auch sehr lange gebraucht, um das Buch komplett durchzulesen. Gerade weil es diese unschöne Mischung aus „hier fehlt irgendwas“ und „das gehört hier doch eigentlich nicht hin, oder?“ bildet. Ruth Bader Ginsburg hat viele tolle Dinge gesagt, ich mag die Art, wie sie dachte. Deshalb habe ich mir auch viele Zitate markiert, um sie nachzulesen oder nach mehr Infos dazu zu suchen. Dieses Buch hat mir definitiv viele Anhaltspunkte gegeben, um weiter zu recherchieren und mehr über sie zu lernen. Aber die Art und Weise, wie das Buch konzipiert wurde, die finde ich nicht so toll. Es gibt bestimmt bessere Bücher über Ruth Bader Ginsburg und die Dinge, die sie gesagt hat, als dieses.

Bibliografische Daten

Titel: Ruth Bader Ginsburg. 300 Statements der berühmten Supreme-Court-Richterin
Herausgegeben von: 
Helena Hunt
Übersetzung: Stefanie Retterbush
Genre/Zielgruppe:
 Sachbuch, Politik, Gesetz, Gesellschaft, Feminismus, Aktivismus

Preis: 10,00 € (genialokal.de)
ISBN: 
978-3-442-77081-6
Format: 
Taschenbuch
Umfang: 
256 Seiten
Erschienen: 
14.09.2020
Verlag: btb


1 Quelle: Wikipedia: „Oberster Gerichtshof der Vereinigten Staaten“

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