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[Rant] Rezension: Die Gabe der Sattlerin | Ralf H. Dorweiler

Eine kurze Warnung vorweg, falls der Hinweis im Titel übersehen wurde: Die Gabe der Sattlerin hat mir nicht gefallen und meine Rezension ist irgendwie in einen Rant ausgeartet … Oh, und eine Spoilerwarnung sollte ich auch aussprechen. Ich hab mich hierbei nicht zensiert, weshalb ich z. B. Kleinigkeiten über das Ende verrate.

Ich habe mich gefreut, als ich die Zusage für meine Teilnahme an der Lesejury-Leserunde zu Die Gabe der Sattlerin bekam. Es ist schon etwas her, dass ich einen historischen Roman gelesen habe, und etwas Abwechslung konnte ich gerade gut gebrauchen. Da ich weiß, dass historische Romane oft etwas länger brauchen als andere, um die Geschichte in Gang zu bringen, hat mir die Leseprobe auch zugesagt – obwohl sie endete, bevor die Handlung so richtig beginnen konnte. Leider hat der Rest des Buches meine Erwartungen nicht wirklich erfüllen können.

Worum geht es?

Ein farbenfroher Roman um eine junge Sattlerin, einen bekannten Dichter und ein Gestüt, das Pferdefreunde bis heute fasziniert
1781. Um einer Vernunftehe zu entgehen, flieht die junge Sattlerstochter Charlotte aus ihrem Heimatdorf. Zuflucht findet sie im Hofgestüt Marbach, wo der württembergische Herzog Carl Eugen die edelsten Pferde der Welt züchtet. Damit sie bleiben darf, muss Charlotte einen prunkvollen Sattel für seinen Lieblingshengst fertigen. Doch die Zeit dafür ist knapp bemessen, zumal ein Regimentsarzt, eine Räuberbande und der Sohn des Gestütsleiters für gefährliche Verwicklungen sorgen. Kann Charlotte sich in ihrem neuen Leben behaupten?

Was habe ich erwartet?

Cover, Titel und Klappentext verweisen auf eine weibliche Protagonistin, die sich aus einer ungewollten Verlobung befreit und ihren eigenen Weg in der Welt sucht. Sie hat scheinbar eine Gabe, die sie von anderen Menschen unterscheidet, und ist hoch zu Ross unterwegs. Der Klappentext deutet außerdem an, dass sie ein neues Leben beginnt. Meine Erwartungen gingen also in Richtung einer Coming-of-Age-Handlung mit einer jungen Frau im Fokus, deren Wunsch nach Selbstbestimmung von der damaligen Gesellschaft nicht vorgesehen ist. Ich habe mir detaillierte Einblicke in das Handwerk einer Sattlerin gewünscht und gehofft, dass von Liebesgeschichten abgesehen wird.

Was bietet Die Gabe der Sattlerin tatsächlich?

Ich bin ziemlich enttäuscht, um es direkt zu sagen. Während die gesamte Verpackung der Geschichte – Titel, Cover, sogar der Klappentext und die Leseproben-Kapitel – betonen, dass Charlotte die Protagonistin dieses Romans ist, habe ich einen völlig anderen Eindruck gewonnen.

Meiner Ansicht nach rückt Schiller im Lauf der Zeit viel mehr ins Zentrum der Geschichte als Charlotte. Die Gabe der Sattlerin fühlt sich an wie eine Fantasie des Autors über die Entstehungsgeschichte von Schillers „Die Räuber“. Als solche versetzt er die historische Person Schiller in ein Szenario mit fiktiven und weiteren historischen Figuren. Er beschreibt detailliert, wie Schiller an bestimmten Szenen seines Stücks arbeitet, welche Sätze er gerade schreibt. Er findet einen Weg, Schiller in ein Räuberlager zu schicken, damit dieser sieht, wie es wirklich ist.

Charlotte ist mehr eine Nebenfigur, die nicht einmal ausschlaggebend für die Entwicklung der Geschichte ist. In einer einzigen Szene scheint ihre Anwesenheit wichtig für den weiteren Verlauf zu sein, da sie eine Information weitergibt. Ansonsten hätte man ihre Figur auch einfach weglassen können.

Das finde ich nicht nur sehr schade, sondern ich bin ziemlich verärgert darüber. Schließlich sollte sie die Protagonistin sein! Und die Gabe, von der im Titel die Rede ist? Ich habe nicht die geringste Ahnung, was damit gemeint sein soll. Vielleicht ist es ihr Handwerk. Vielleicht die Tatsache, dass ihr alles zuzufallen scheint, ohne, dass sie sich wirklich anstrengen müsste. Immerhin ist sie allein, ohne Wechselkleidung oder größere Mengen Lebensmittel oder Geld unterwegs, und obwohl sie mehreren (auf den ersten Blick) zwielichtigen Gestalten begegnet, inklusive einer waschechten Räuberbande, gerät sie nicht ernsthaft in Gefahr. Dennoch, eine Gabe habe ich nicht entdecken können.

Warum gibt man einem Buch einen Titel, der total in die Irre führt? Meine Erwartungen gingen also in eine völlig andere Richtung als die Handlung des Romans. Und das hätte ganz einfach vermieden werden können, indem man einfach mit dem wirbt, was das Buch tatsächlich enthält.

Die Gabe der Sattlerin Cover 2 Rezension

Schade finde ich auch, dass alle Männer in Charlottes Umfeld ihr scheinbar an die Wäsche wollen. Schiller selbst hat vielleicht noch ein etwas intellektuelles Interesse, okay. Aber der Herzog, einige Mitglieder der Räuberbande, der Sohn des Gestütsleiters, ein italienischer Händler, ihr Verlobter, der ganz eindeutig von Consent noch nie gehört hat – es ist einfach zu viel und zu unrealistisch.

Es hat auch auf den Handlungsverlauf überhaupt keinen Effekt, dass ihr die Männer zu Füßen liegen. Wenn es irgendwie relevant wäre, könnte ich das ja noch verstehen, aber es spielt überhaupt keine Rolle. Warum also die Person, die angeblich (aber nicht wirklich) im Fokus steht, zum Objekt degradieren, obwohl man sie als stark und unabhängig darstellen will? Diese Entscheidung seitens des Autors ergibt für mich – wie so manche anderen – einfach keinen Sinn.

Generell spielen Frauen in diesem Roman kaum eine Rolle. Charlotte, ihre Schwestern, die Schatzwärtin des Herzogs und ein, zwei weitere Frauen, die wichtig genug waren, um einen Namen zu bekommen, sind als Einzige halbwegs relevant. Und dass ich mir die Namen dieser Frauen nicht merken konnte, sagt, glaube ich, so einiges darüber aus, wie wichtig sie wirklich sind und wie oft sie auftauchen.

Dazu kommt der Schreibstil. Wie schon gesagt legen historische Romane ein anderes Tempo vor als zum Beispiel Jugendromane oder Urban Fantasy: alles dauert etwas länger. Und das ist in Ordnung. Hier jedoch hat die Spannung so viele und so große Durchhänger, dass ich es kaum geschafft habe, mehr als zwei Kapitel am Stück zu lesen. Im letzten Drittel wurde es dann vorübergehend etwas angenehmer zu lesen, als die Handlung rapide angezogen wurde und alles Schlag auf Schlag ging – dazu gleich mehr. Insgesamt habe ich aber sehr viel länger gebraucht als sonst und damit den für die Leserunde geplanten Zeitrahmen immer wieder überschritten.

Kommen wir zum Ende von Die Gabe der Sattlerin. Oh, das Ende! Es ist endlich etwas passiert! Aber: wenn Tempo und Spannung bis zu diesem Punkt mehr oder weniger durchgehend schwach und schlapp am Boden kriechen, dann ist es schon auffällig, wenn alles plötzlich ganz schnell gehen muss. Das Ende ist das schlechteste, das ich seit längerer Zeit gelesen habe! Es ist zu abrupt, es führt die losen Fäden der Geschichte zu schluderig zusammen, es löst die Probleme der Handlung zu oberflächlich auf.

Diese Probleme werden, natürlich, von Männern gelöst. Charlotte erzählt einer Person ein Geheimnis und diese Person heckt einen Plan aus, der alle Eventualitäten berücksichtigt und alle Beteiligten zufriedenstellt. Innerhalb weniger Seiten. Genau genommen erfahren wir Leser:innen von diesem Plan erst, als Person A (männlich) Person B (männlich – Schiller, um genau zu sein) von der erfolgreichen Umsetzung erzählt.

Charlotte erfährt erst viel, viel später durch einen Brief davon. Sie ist nämlich zu dem Zeitpunkt gar nicht mehr in das Geschehen involviert. Nein, Charlotte ist inzwischen wieder zuhause. An dem Ort, den sie zu Beginn des Romans auf der Flucht vor der Verlobung verlassen hat. Denn wisst ihr was? Ihre Schwester hat sich in Charlottes Ex-Verlobten verliebt und die beiden sind ihr hinterher gereist, um sie wieder nach Hause zu holen. Natürlich lässt Charlotte da alles stehen und liegen, obwohl sie eine gute Anstellung und vielleicht sogar Freunde gefunden hatte.

Die Frau, die am Anfang als so freiheitsliebend und selbstbewusst dargestellt wurde, geht einfach wieder zurück nach Hause, als klar wird, dass ihr Ex-Verlobter nicht mehr hinter ihr her ist? Also bitte.

Die Gabe der Sattlerin Cover 3 Rezension

Schließlich gibt es noch ein Glossar am Anfang und eine Danksagung am Ende des Buches. Das Glossar ist das einzige, was mir wirklich gut gefällt an diesem Roman. (Okay, das Cover ist zwar generisch, aber auch sehr schön. Es passt eben einfach nicht zum Inhalt.) Im Glossar sind die Figuren aufgelistet und es steht auch drin, wer fiktiv ist und wen es tatsächlich gegeben hat. Das fand ich gut gelungen. Die Danksagung ist ein anderes Kaliber. Statt einfach Danke zu sagen und die Personen zu benennen, die bei der Entstehung des Romans eine Rolle gespielt haben oder dem Autor persönlich wichtig sind, verwendet er diesen Platz im Buch, um seine Entscheidungen zu rechtfertigen.

Was ich ziemlich amüsant finde (im negativen Sinn): der Autor schreibt, und hier zitiere ich, „Man muss sich heute etwas einfühlen in die Sprache der Zeit. […] Wagt man das, ist es erstaunlich, wie schnell man sich daran gewöhnt. – Fürs Schreiben eines Romans kann das allerdings sehr hinderlich sein. Der Text soll ja nicht plötzlich zu antiquert klingen.“ Er dankt seiner Frau, dass sie darauf achtete, „dass es zu keinen sprachlichen Auswüchsen kam“. Meiner Meinung nach hat das nicht funktioniert. Ich kenne die anderen Bücher des Autors nicht. Aber wenn er in diesem Werk keine antiquierten sprachlichen Auswüchse sieht, dann hab ich auch nicht das Bedürfnis, mehr von ihm zu lesen.

Ich bin ziemlich enttäuscht von der Handlung und den Entscheidungen, die der Autor für diese Geschichte getroffen hat. Diese Enttäuschung hätte vermieden werden können, indem Autor und Verlag und/oder Agentur das Buch mit dem beworben und beschrieben hätten, was es tatsächlich auch beinhaltet. Und indem man dem Buch einen Titel gibt, der einen Sinn hat. Ich frage mich wirklich, was diese „Gabe“ in Die Gabe der Sattlerin sein soll und wenn jemand eine Antwort darauf hat, würde ich mich darüber freuen.

Spannung ist meistens nicht vorhanden und die absurd rasche Auflösung am Ende, die absolut nicht zum Rest der Geschichte passte, war neben den ersten paar Kapiteln der einzige Teil des Romans, an dem ich nicht gelangweilt war. Sprachlich ist Die Gabe der Sattlerin kein Meisterwerk, aber okay. Besonders, wenn man beachtet, dass es ein historischer Roman ist und diese gern etwas schwülstig geschrieben sind – auch, wenn der Autor beteuert, er habe dies vermieden.

Positiv

  • ansprechendes Cover (wenn auch generisch)
  • neugierig machender Titel (passt nur halt nicht zur Geschichte)
  • schöne Grundidee (aber leider mies umgesetzt)

Negativ

  • Cover, Titel und Klappentext führen total in die Irre
  • Spannung? Was ist das?!
  • Sprache ist unangenehm schwülstig
  • Frauen spielen kaum eine bis keine Rolle – dabei sollte die Hauptfigur eigentlich weiblich sein
  • unlogische und unrealistische Wendungen

Fazit

Wenn ich es mit Sternen sagen müsste, würde ich diesem Buch nur einen von fünf Sternen geben. Da es zwischendurch aber doch ein paar kleine Momente gab, in denen mir das Lesen wirklich Spaß gemacht hat – Momente, in denen Charlotte im Fokus stand, in denen ihre Entscheidungen wichtig waren und in denen sie neue Erfahrungen machte – und weil ich die Idee, die im Klappentext beschrieben wurde wirklich gut finde, obwohl ihr Potenzial absolut nicht genutzt wurde, ringe ich mir einen zweiten Stern ab. Aber wirklich nur widerwillig.

Dieses eBook habe ich im Rahmen einer Lesejury-Leserunde kostenlos erhalten.


Bibliographische Daten

Titel: Die Gabe der Sattlerin
Reihe:

Autor:
Ralf H. Dorweiler
Übersetzung:

Verlag:
Lübbe
Genre/Zielgruppe:
Historischer Roman, Romane und Erzählungen

Preis: 8,99 € (genialokal)
ISBN:
9783732588053
Format:
eBook
Umfang:
432 Seiten
Erschienen:
30.09.2020
Besonderheit:

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