Während in den Social Media ein richtiger Hype um Jay Kristoff und seine Bücher entstand, war ich damit beschäftigt, andere Bücher zu feiern. Die Mercy Thompson-Reihe von Patricia Briggs zum Beispiel, oder Giants von Sylvain Neuvel. Das ist inzwischen ein paar Jahre her. Nachdem der Hype jetzt etwas abgeflaut ist, habe ich mich an Illuminae (von Kristoff und Kaufman) und Nevernight – Die Prüfung („nur“ Kristoff) gewagt. Und diese beiden Bücher sind wirklich gut, jedes auf seine ganz eigene Weise. Ich bin nicht ganz so fanatisch wie viele andere Leser:innen es zu sein scheinen, aber ich habe die Bücher wirklich, wirklich gern gelesen.
Und ich giere nach den Fortsetzungen. (Ja, die sind schon erschienen, aber Geld, Leute, Geld und Zeit!)
Als ich jetzt also via NetGalley in Aurora erwacht (engl.: Aurora rising) hineinlesen konnte, habe ich mich riesig gefreut! Denn der Klappentext dieser Geschichte hat mir noch viel besser gefallen als der von beispielsweise Nevernight:
Tyler, frisch ausgebildeter Musterschüler der besten Space Academy der ganzen Galaxie, freut sich auf seinen ersten Auftrag. Als sogenannter „Alpha“ steht es ihm zu, sein Team zusammenzustellen – und er hat vor, sich mit nichts weniger als den Besten zufrieden zu geben. Tja, die Realität sieht anders aus: Er landet in einem Team aus Losern und Außenseitern:
Scarlett, die Diplomatin – Sarkasmus hilft immer (not.)
Zila, die Wissenschaftlerin – dezent soziopathisch veranlagt
Finian, der Techniker – besser: der Klugscheißer
Kaliis, der Kämpfer – es gibt definitiv Menschen, die ihre Aggressionen besser unter Kontrolle haben
Cat, die Pilotin – die sich absolut nicht für Tyler interessiert (behauptet sie zumindest)Doch dieses Katastrophenteam ist nicht Tylers größtes Problem. Denn er selbst ist in den verbotenen interdimensionalen Raum vorgedrungen und hat ein seit 200 Jahren verschollenes Siedlerschiff gefunden. An Bord 1.000 Tote und ein schlafendes Mädchen: Aurora. Vielleicht hätte er sie besser nicht geweckt. Ein Krieg droht auszubrechen – und ausgerechnet sein Team soll das verhindern. Ouuups. Don’t panic!
Quelle: Verlagswebsite
Perspektiven
Ich mag, dass die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird. So erfahren wir Leser:innen viele Details, ohne dass eine einzelne Person allwissend wird. Jede Figur weiß unterschiedliche Dinge, lernt im eigenen Tempo die anderen Teammitglieder kennen und hat einen entsprechenden Kenntnisstand. Dadurch behält die Handlung ihre Dynamik und bleibt nicht an langen Monologen kleben.
Etwas schwierig fiel mir aber, die einzelnen Kapitel den Figuren zuzuordnen. Klar, die Überschriften sagen, aus wessen Perspektive erzählt wird. Wenn man aber wie ich nur so durch die Seiten fliegt und Aurora erwacht innerhalb einer Nacht förmlich inhaliert, dann achtet man vielleicht nicht so genau auf die Kapitelüberschrift.* Die Art und Weise, wie die Figuren reden und denken, ist meiner Meinung nach zu ähnlich. Es gibt einzelne Ausreißer, bei denen ganz klar ist, wer gerade spricht, aber man hätte da noch deutlicher differenzieren können. Dann wäre die Zuordnung eventuell leichter gefallen.
* (Ganz ehrlich, mein Auge zuckt vielleicht mal kurz dahin, aber bewusst lese ich Kapitelüberschriften selten. Wenn es wirklich Titel sind und nicht nur „Kapitel 3“ oder eben die Namen der Personen, die in diesem Kapitel den Blickwinkel bestimmen, dann ist meiner Erfahrung nach ein Spoiler nicht ausgeschlossen. Vielleicht ist es also sogar eine unterbewusste Entscheidung meines Gehirns, die Überschrift nicht zu lesen. Das ist natürlich in diesem Fall wenig förderlich …)
Zwischendurch gibt es kleine Info-Boxen im Text, wahrscheinlich mit Auszügen aus Auroras vorlautem Tablet. (Wenn ihr das Buch lest, werdet ihr verstehen, was ich damit meine.) Diese kleine grafische Besonderheit erinnert an die Machart von Illuminae, ist aber lange nicht so komplex. Mir gefielen diese Einschübe sehr, weil wir Leser:innen so mit Infos versorgt werden, ohne, dass eine Figur einen langen Monolog über die Geschichte einer Spezies halten müsste. Denn das würde den Lesefluss enorm verändern, aber so, wie es ist, stört das überhaupt nicht.
Worldbuilding
Geschichten über die ferne Zukunft der Menschheit, über fremde Lebensformen und Alienplaneten, über wissenschaftlichen Fortschritt und gesellschaftliche Strukturen, die sich damit entwickeln – das alles fand ich schon immer spannend. Im Grunde sind das nur ausführliche was-wäre-wenn-Spekulationen. Richtig in eine Romanhandlung eingebettet und gut geschrieben können die total faszinierend sein. Kaufman und Kristoff ist das mit Aurora erwacht wahnsinnig gut gelungen!
Das Worldbuilding ist großartig: Die Waage von dem, was erzählt wird, und den Details, die in diesem ersten Band noch ungewiss bleiben, ist perfekt austariert. Und das menschliche Leben ist genau richtig verfremdet: man kann die uns bekannte Menschheit noch erkennen, aber gleichzeitig sind die sogenannten Terraner „anders“ genug, um fremd zu wirken. Diese Gratwanderung zwischen Bekanntem und Fremdem fand ich schon in Illuminae klasse, hier setzen die beiden Autor:innen dem aber noch die Krone auf.
Das Konzept der Raumfalten finde ich spannend. Ich bin da fachlich nicht so gut aufgestellt, aber könnte mir gut vorstellen, dass dem Ganzen ein physikalisches Konstrukt zugrunde liegt. Auch der Gedanke, dass das große Böse (Achtung, Spoiler! Zum Lesen einfach den unsichtbaren Text markieren.) eine Art wuchernder Pilz ist, der sich netzartig von Planet zu Planet und durch ganze Universen erstreckt und dabei alles infiziert, was sich nicht rechtzeitig schützen kann, gefällt mir sehr. (Spoiler Ende!) Wird hier vielleicht mit einer Urangst der Menschen gespielt? Ich bin jedenfalls enorm gespannt, wie dieser Teil der Geschichte weitergeht!
Charaktere
Im Fokus von Aurora erwacht steht eine Gruppe junger Erwachsener – sie sind um die 18 Jahre alt: Tyler, Scarlett, Cat, Zila, Finian und Kaliis werden nach ihrem Abschluss an der Space Academy zusammengewürfelt, um ein Squad zu bilden. Als Squads machen sie zum Beispiel Versorgungsflüge zu anderen Planeten. Diese 6 sind sozusagen die Außenseiter, die beim Wählen der Teams im Sportunterricht am Ende übrig blieben und als Reste-Truppe zusammengesteckt werden. Tyler hätte eigentlich als einer der ersten seine Teamkamerad:innen wählen dürfen, aber weil er nicht pünktlich war, hat man ihm dieses Privileg genommen. Sie alle haben also Eigenheiten, die Grund genug sind, dass andere sie nicht in ihrem Squad haben wollten.
Diese Truppe ist enorm stereotyp, ich sag es einfach ganz direkt. Wir haben den starken, mutigen, cleveren Teamcaptain mit der großen Klappe und viel zu viel Charme, als dass es gesund sein könnte. Der sich also aus allen möglichen blöden Situationen heraus-flirten kann. Und gut sieht er natürlich auch aus.
Wir haben den gehandicapten, grummeligen Techniker, der fies zu allen ist und bloß niemals Hilfe annehmen würde, weil das ja ein Zeichen von Schwäche ist. Und natürlich weicht er mit der Zeit auf.
Wir haben die Diplomatin, die als Schwester des furchtlosen Alphamännchens (des Teamcaptains) natürlich die einzige ist, die in brenzligen Situationen vermitteln kann und schon beinah promiskuitiv beschrieben wird. Eine der Frauen im Team „muss“ ja diese Rolle spielen. (Das ist das einzige, was mich ein bisschen stört. Aber ja, es gibt solche Menschen. Die haben auch eine Daseinsberechtigung.)
Das trifft nämlich nicht auf die anderen beiden zu: Die stille Wissenschaftlerin ist sehr zurückgezogen und wenn sie doch mal den Mund auf macht, dann kommen (Überraschung!) wissenschaftliche Dinge dabei heraus. Und manchmal sind das eben Experimente an Menschen – sorry, Terranern.
Die knallharte Pilotin ist dagegen nicht auf den Mund gefallen und möchte am liebsten mit dem Kopf durch die Wand, immer, überall. Da ist ein bisschen vermitteln schon nicht schlecht.
Und schließlich haben wir noch den Muskelmann des Teams, der den Weg freiräumt, Prügeleien austrägt und mit großem Rassismus konfrontiert ist, weil er einer ungeliebten Spezies angehört.
Ihr merkt schon: es werden viele Klischees erfüllt. Das hat in diesem Fall aber einen Zweck, weshalb ich mich überhaupt nicht daran störe. Denn die Teamzusammensetzung dieser Space Academy verlangt das Einsortieren der Absolvent:innen in Schubladen. Und ja, das ist vielleicht auf den ersten Blick etwas zu oberflächlich, aber mit der Zeit offenbaren sich individuelle Charakterzüge, die sich nicht zwangsläufig in diesen stereotypischen Aufbau pressen lassen. Und das macht die Figuren dann wieder besonders.
Eine Person habe ich bisher aber ausgelassen: unsere Titelheldin Aurora. Sie ist keine Terranerin oder eine der „anderen“ Spezies, sondern ein mehr oder weniger frischer Mensch von der Erde. Sie hat keine Ahnung, in was – und vor allem in welche Zeit – sie da hineinkatapultiert wird, und ist zuerst total überfordert. Natürlich ist sie das, wer wäre das in ihrer Situation nicht?! Aurora stellt Dinge infrage, über die die restlichen Teammitglieder nie nachgedacht haben, denn „das war schon immer so“.
Dass sie etwas tollpatschig und hilflos umherstolpert kaufe ich ihr auch ausnahmsweise einmal ab (im Gegensatz zu vielen anderen Protagonistinnen), denn sie kommt nun einmal aus einer völlig anderen Welt, in der selbst die Schwerkraft anders funktioniert. Da kann man schon mal ins Taumeln kommen.
All diese Klischees dienen meiner Meinung nach auch dem Zweck, Konflikte innerhalb der Gruppe zu erzeugen. Scarlett und Cat gehen sich an den Kragen, weil Cat kein Kleid anziehen will. Kaliis und Finian sind als einzige in der Gruppe keine Terraner und bringen das Thema Rassismus und Anderssein auf den Tisch. Tyler ist so bemüht, Aurora zu helfen, dass er manchmal vom Rest des Teams auf den Boden der Tatsachen geholt werden muss. Zila schießt mit ihren Experimenten ein paar Mal übers Ziel hinaus und es braucht sowohl Scarletts Redekunst als auch Kaliis Stärke, um die Situation zu entschärfen.
Es macht einfach Spaß, das zu lesen, denn die Autor:innen zeigen in Aurora erwacht wirklich, dass sie ihr Handwerk beherrschen. Und die Diversität, die ich in diesem Buch immer wieder entdeckt habe, wirkt nicht erzwungen, sondern ganz alltäglich und normal. So, wie es sein sollte.
Romantik
Bei allem, was passiert, ist Romantik wirklich nebensächlich. Auch das rechne ich Amie Kaufman und Jay Kristoff hoch an: sie schaffen es, eine zarte Romanze aufblühen und alte Gefühle nicht nur unterschwellig nebenher laufen, sondern auch zu plotrelevanten Entscheidungen führen zu lassen. Und das alles so dezent im Hintergrund (bis auf den Moment, als die Kacke so richtig am dampfen ist), dass es wirklich nicht stört. Jetzt hoffe ich nur, dass das in der Fortsetzung nicht zunichte gemacht wird. Denn zum Ende von Aurora erwacht wird deutlich, dass die Romanze wohl eine größere Rolle spielen wird. Ich traue den beiden Autor:innen zu, dass sie es nicht ruinieren, aber ich fürchte mich auch ein bisschen.
Lasst mich das kurz erklären: ich kann es nicht leiden, wenn ein tolles Setting, eine großartige Geschichte und ein detailliertes Worldbuilding in Science Fiction- oder Fantasyromanen durch eine plumpe Liebesgeschichte, am besten noch im Dreieck, übertrumpft wird. Ja, wenn die Liebe im Vordergrund stehen soll, dann ist das schön und gut. Aber wenn es im Kern um Teamzusammenhalt und um Freundschaft, um eine Weltraumzivilisation und Aliens geht – dann stört eine Liebesgeschichte oft einfach nur. Aurora erwacht ist für mich ein perfektes Beispiel, wie genau das nicht passiert.
Und sonst?
Okay, ich habe die Perspektiven genannt, die Charaktere, das Worldbuilding, … was fehlt noch?
Hmm … Wie wär’s damit?
Verschwörungen, Staat vs. kleine Rebellengruppe, Verzerrung von Geschichte durch diejenigen, die die Geschichte erzählen und lehren, Alienkrieg, ein Planetenschiff, das mich in seiner steampunkigen Art sehr an Weltraummärkte aus Doctor Who erinnert, großartiger, stellenweise richtig schön bissiger Humor und ein Cliffhanger, der es in sich hat. Ich kann mir Aurora erwacht sehr gut als Film oder sogar als Serie vorstellen, je nachdem, was in der Fortsetzung noch so kommt. Die Beschreibungen haben mein Kopfkino so richtig schön angeheizt und ich habe quasi nonstop Bilder vor Augen gehabt.
Ganz ehrlich, Aurora erwacht ist bisher mit Abstand das beste Buch, das ich in diesem Jahr gelesen habe! Ich bin überwältigt, und das sage ich nicht oft! Leider ist der zweite Band für Deutschland noch nicht offiziell angekündigt, aber der Verlag sagte auf meine Nachfrage auf Instagram folgendes:
Bis wir auf deutsch in den zweiten Band eintauchen können, dauert es also noch ein bisschen. Auf Englisch erschien Aurora burning übrigens schon im Mai 2020, wer also nicht so lange warten möchte … Ich habe mir Band 2 ehrlich gesagt schon gekauft. Normalerweise warte ich lieber auf die Übersetzung, aber hier will ich nicht länger abwarten! Und das sagt glaube ich alles, was ihr wissen müsst.
Ein Dank geht raus an NetGalley und den Verlag für das digitale Rezensionsexemplar!
Bibliografische Daten
Titel: Aurora erwacht
Reihe: Aurora Rising, Band 1 von bisher 2
Autor:in: Amie Kaufman, Jay Kristoff
Übersetzung: Nadine Püschel
Verlag: FISCHER Kinder- und Jugendbuch E-Books
Genre/Zielgruppe: Science Fiction, ab 14
Preis: 12,99 € (kaufen auf genialokal.de)
ISBN: 978-3-7336-5193-0
Format: eBook
Umfang: 496 Seiten
Erschienen: 24.02.2021
Besonderheit: Info-Boxen im Text
Weitere Meinungen
„Ja, es ist SciFi, aber es ist vor allem eine absolut großartige, fantastische Geschichte über Freundschaft, Vertrauen, Familie, Liebe und Mut. Und wenn sich die Reihe so weiterentwickelt wie sie beginnt, könnte sich Aurora ziemlich weit nach oben in meiner Bestenliste arbeiten. Lest es, tut euch den Gefallen!“
Tatjana auf Janas Lesehimmel
„Jede einzelne Seite war einfach grandios, unglaublich spannend, super witzig und sehr emotional.
Einfach ganz große Liebe und jetzt schon ein Jahreshighlight für mich.“
Jill auf Letterheart
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