Wie immer freute ich mich schon viele Monate vor dem deutschen Erscheinungstermin auf den neuen Mercy-Thompson-Band. Dass sich diese Reihe im Laufe der letzten Jahre immer mehr zu meiner Lieblingsreihe entwickelt hat, wird für regelmäßige Besucher:innen dieses Blogs auch keine Neuigkeit mehr sein… Deshalb musste natürlich auch dieser aktuellste deutsche Band, Nummer 12 mit dem viel- und gleichzeitig nichtssagenden Titel Feuerkuss, bei mir einziehen. Der amerikanische Originaltitel lautet übrigens Smoke Bitten. Das passt noch besser zum Inhalt. Bevor wir uns das Innenleben dieses Romans anschauen, habe ich aber ein paar Bemerkungen zum Klappentext.
Der Klappentext, oder: warum es manchmal besser ist, dicht am Original zu bleiben
Der wirbt nämlich etwas reißerisch mit „Mercy Thompsons geheimnisvollster Fall“ in Großbuchstaben auf der Rückseite des Buches. Außerdem ist Mercy scheinbar „tagsüber […] eine toughe Automechanikerin, nachts versucht sie, das fragile Gleichgewicht zwischen Menschen und übernatürlichen Wesen in ihrer Stadt zu bewahren.“ Nun ja. Vielleicht bin ich hier ein bisschen pingelig, weil ich diese Bücher liebe und will, dass sie richtig und ehrlich vermarktet werden, aber es ist mitnichten so, dass Mercys Leben sich in ruhige Tage und aufregende Nächte aufteilt. Und der Begriff „Fall“ passt auch nicht wirklich.
Denn es geht in dieser Urban-Fantasy-Reihe nicht um „Fälle“. Mercy ist keine Polizistin, keine Detektivin, keine Anwältin oder hat sonst einen Job, der mit „Fällen“ zu tun hätte. Die Situationen, in die sie mehr oder weniger tollpatschig oder zufällig hineinschlittert, drehen sich um sie selbst und ihre Familie, ihre Freunde. Es war möglicherweise vom deutschen Verlagsteam nicht beabsichtigt, es so darzustellen, aber wenn ich als Leserin im Klappentext etwas von „Fällen“ lese, dann denke ich, je nach Kontext, an eine Kriminalermittlung oder sehr viel Wasser. Da nichts davon in Feuerkuss eine größere Rolle spielt, hätte ich mir eine andere Formulierung gewünscht. Vielleicht wäre „Herausforderung“ oder „das größte Geheimnis“ passender gewesen? Denn ein Geheimnis gibt es definitiv!
Damit ich hier dem deutschen Verlag nichts in die Schuhe schiebe, wofür er gar nichts kann: Ich habe mir den Klappentext im Original angeschaut. Da werden diese beiden Formulierungen, an denen ich mich störe, nicht einmal im Entferntesten erwähnt. Stattdessen beschreibt die Protagonistin Mercy selbst die neue Herausforderung dieses Bandes, und zwar auf weitaus spannendere Art als die deutsche Ausgabe es tut, wenn ich ehrlich sein soll. Online stellt der Heyne Verlag einen anderen Text zur Beschreibung von Mercy Thompson 12 zur Verfügung, der viel näher am Original ist. Ich frage mich deshalb: Warum wurde sich dafür entschieden, auf dem Buch selbst einen anderen Text abzudrucken?
Gefährliche Feenwesen, oder: Who let the dogs monster out?
Aber genug davon, kommen wir zur Geschichte selbst.
Patricia Briggs hat sich schon seit dem ersten Band Ruf des Mondes entschieden, die Feenwesen in ihrer Welt nicht an Disneys Tinkerbell, sondern an den ursprünglichen, oft europäischen Legenden und Sagen zu orientieren – und die fressen nun mal auch Menschen, besonders gern Kinder.
So ist es nicht ungewöhnlich, dass die erste Reaktion der Protagonist:innen von Feuerkuss sich in Sorge ausdrückt, als bekannt wird: aus dem Feenland Anwnn (das ist ein Königreich in der walisischen Mythologie und wird als keltische Unterwelt interpretiert1, man nennt es auch „unter dem Feenhügel“) ist eines der gefährlichsten Feenwesen entkommen! Sogar die übrigen – teilweise ziemlich mächtigen – Feenwesen, die inzwischen öffentlich zwischen den Menschen und anderen Wesen leben, ziehen sich zur Sicherheit in ihre Reservate zurück und auch die Vampire machen dicht. Also bleibt es an Mercy Thompson und ihrer erweiterten Werwolffamilie hängen, für Sicherheit zu sorgen und vor allem dieses Monster zurück dahin zu schicken, wo es hingehört: in die Kerker von Anwnn.
Darüber hinaus stellen sich aber noch ein paar wichtige Fragen: wie konnte dieses Wesen fliehen? Warum war es eigentlich gefangen? Und warum will niemand darüber sprechen, wer oder was genau da eigentlich entkommen ist? Mercy wendet sich an verschiedene Informationsquellen, um Antworten zu finden. Das schließt Anwnn, die Königin des Reiches Anwnn (ja, es ist etwas verwirrend, aber die heißen aus einem bestimmten Grund beide gleich), und ein paar andere, sehr mächtige, sehr gefährliche und sehr, sehr alte Feenwesen mit ein. Dadurch bekommt nicht nur Mercy, sondern auch wir Leser:innen immer mehr Brotkrumen und Hinweise, die mich schließlich einige Zeit vor der großen Offenbarung die richtige Lösung haben erraten lassen.
Das Buch ist aber so gut geschrieben, dass du nicht direkt mit der Nase auf die Antworten gestoßen wirst, sondern du musst schon ein bisschen umdenken. Wie gesagt, Briggs richtet sich mehr nach den ursprünglichen Märchen und Legenden, die nicht nur grausam sein können, sondern auch verschiedene Variationen haben. Dadurch war es für mich nicht ganz leicht, die Verhaltensweisen und Merkmale des Monsters einem bestimmten Wesen zuzuordnen. Ich hatte eine Vermutung, die immer stärker wurde, aber zu 100 Prozent sicher war ich mir dann doch nicht. Dieses Rätseln hat großen Spaß gemacht, vor allem, weil das Spiel mit dem Ungewissen so neu für diese Reihe ist.
Bisher war eigentlich immer klar, wer der Gegner ist: irgendein abtrünniger Werwolf, ein Vampir, der sein Revier markieren will, oder auch irgendein Vulkangott. (Fragt nicht, lest lieber meine Rezension zu Gefährtin der Dunkelheit (das ist Band 8, es gibt also Spoiler zu den Vorgängern) oder das Buch selbst.) Klar, manchmal wusste man 1-2 Kapitel nicht, von wem genau die Gefahr ausging oder aus welcher Richtung sie kommen würde, aber eine Situation, in der das Böse vor deiner Nase sitzt, du aber keinen Namen dafür hast oder nicht weißt, womit genau du es eigentlich zu tun hast, das ist etwas neues für Mercy Thompson.
(Ich muss jetzt sehr vorsichtig und allgemein formulieren, damit ich keine Spoiler für dieses Buch produziere!)
Mir hat sehr gut gefallen, wie Briggs in diesem Band mit einem bekannten Motiv spielt. Ich wage zu behaupten, dass die meisten Menschen, die in westlichen Ländern aufgewachsen sind, die Figur kennen. Deshalb fand ich es so faszinierend zu sehen, wie die Autorin dieses Motiv verändert und an ihre Romanwelt angepasst hat, aber doch noch genug vom mir bekannten Kern übrig ließ, sodass ich es nach ca. 2/3 des Buches vorsichtig erahnen konnte.
Warum Smoke Bitten besser zum Buch passt als Feuerkuss
Eine Eigenheit des gefährlichen Feenwesens ist die Fähigkeit, mit einem Biss den Besitz von etwas oder jemandem zu übernehmen. So hat es vorübergehend eine Tramperin, einen Vampir und auch ein Kaninchen unter seiner Kontrolle. Zwischendurch wird ein Monty-Python-Witz gemacht (Anspielung auf das Killer-Kaninchen), was mich laut hat lachen lassen! Aber darum geht es gerade gar nicht. Stattdessen schauen wir uns mal den Titel an: Feuerkuss. Da ist nichts mit Feuer und geküsst wird auch nicht übermäßig viel. Einzig das gefühlte Brennen, das nach dem Biss des Monsters auftritt, könnte eine Herleitung des deutschen Titels bieten.
Der Originaltitel dagegen, Smoke Bitten, trifft es viel besser. Denn aus den Bisswunden tritt sofort und unentwegt Rauch aus, der dem Wesen auch seinen Rufnamen gibt. Während Mercys Recherchen ergibt sich nämlich unter anderem die Information, dass man das Monster Rauchweber oder Rauchbestie nennt. (Keine Sorge, das ist kein Spoiler!) Passt doch viel besser, oder? Ob man in der deutschen Übersetzung jetzt Feuerkuss oder Rauchbiss schreibt, macht meiner Meinung nach nur in dem Aspekt einen Unterschied, dass es inhaltlich besser passt. Beide sind gleich nichtssagend. Vom Rauch gebissen fände ich als Titel schön. Das nimmt auch nichts vorweg, man sieht es schließlich auf dem Cover.
Charakterentwicklung
Toll war auch, dass Jesse langsam nicht mehr das junge Mädchen ist, sondern echte Reife zu zeigen beginnt. Sie war noch nie wirklich schwach oder so, aber diesmal kam sie mir unabhängiger und erwachsener vor – und so wurde sie auch von den übrigen Leuten behandelt. Die Entwicklung um Adam und seine Beziehung zu Mercy hat mich zuerst etwas erschreckt, aber sie ergibt im Kontext der Reihe absolut Sinn. Ich mache mir ein bisschen Sorgen, wie es damit weiter geht. Diese Wendung bietet jedenfalls ordentlich Nährboden für zukünftige Plots! Ich habe außerdem die zarte Hoffnung auf ein weiteres Ship in der Reihe, aber bis sich das in den Folgebänden nicht bestätigt, halte ich lieber meinen Mund. 😀
Auriele, die man laut Autorin bzw. ihrem Team gar nicht mögen soll, sorgt mal wieder für Christy-Drama und setzt damit mehr in Gang, als sie beabsichtigt hatte. Bran verrät ein Detail aus Mercys Kindheit, das mich auf neue Bände des Spin-Offs Alpha & Omega neugierig macht. Welche Geschichten über Charles gibt es noch, die uns Leser:innen vorenthalten werden?! Ich liebe, wie immer, das Zusammenspiel von Zee, Tad und Mercy. Diese grummelige Art von Zee erinnert mich einfach immer wieder sehr an meinen Opa. Ich bin außerdem gespannt darauf, wie sich Wulfes neues Hobby auf zukünftige Bände auswirkt. Stefans Rolle schien in diesem Band nicht so wichtig gewesen zu sein. Wird das ein langfristiger Trend? Wie geht es mit Aiden und Joel weiter?
Neue Übersetzerin
Ein kleines Detail ist mir außerdem aufgefallen. Nicht an der Qualität des Buches, nicht an den Worten, sondern nur, weil ich nach genau dieser Info immer gucke: Die Übersetzerin Antonia Zauner ist neu im Mercyverse. Bisher wurden die meisten Mercy Thompson-Bücher (soweit ich weiß) von Vanessa Lamatsch übersetzt. Diesen Namen im Impressum zu lesen war für mich immer ein kleines Qualitätsmerkmal, denn viele der Autorinnen, deren Bücher Lamatsch übersetzt hat, gehören zu meinen Favoriten: neben Patricia Briggs sind das zum Beispiel Jennifer Estep und Jennifer Armentrout/J. Lynn. Dass ich aber keinen Unterschied gemerkt habe ist für mich ein Zeichen dafür, dass Zauner ihren Job sehr gut beherrscht. Bin gespannt, ob sie die kommenden Bände auch übernimmt oder ob das eine einmalige Sache war.
Fazit
Inzwischen ist die Familie um Mercys Werwolfrudel ganz ordentlich angewachsen und auch jede einzelne Figur wächst mir mehr und mehr ans Herz. Ich finde es faszinierend, wie sehr ich mich zu Hause fühle, wenn ich ein Buch der Reihe Mercy Thompson aufschlage, und es nach etwa fünf Stunden inhaliert habe – und wehe, man unterbricht mich! Einfach großartig!
Wie die bisherigen Bände ist auch Feuerkuss sehr humorvoll und spannend geschrieben. Die Autorin spielt mit alten Mythen und spinnt ihre ganz eigene Geschichte daraus. Die Figuren bleiben vielschichtig und die Dynamik entwickelt sich immer weiter. Es gibt keinen Stillstand. Das liebe ich so sehr an dieser Reihe. Den nächsten Band, der im Original Soul Taken heißen wird, kann ich kaum erwarten!
Vielen Dank an den Heyne Verlag und das Bloggerportal für das Rezensionsexemplar!
Bibliografische Daten
Titel: Feuerkuss
Reihe: Mercy Thompson 12
Autor: Patricia Briggs
Übersetzung: Antonia Zauner
Verlag: Heyne
Genre/Zielgruppe: Urban Fantasy
Preis: 10,99 € (genialokal.de)
ISBN: 978-3-453-42471-5
Format: Taschenbuch
Umfang: 416 Seiten
Erschienen: 11.01.2021
Weitere Meinungen
„Für Fans der Reihe sowieso ein Muss und allen anderen kann ich die Bücher auch nur ans Herz legen. Aber bitte in chronologischer Reihenfolge lesen.“
Silke von Blackfairys Bücher
„Alles zusammen bildet einmal mehr eine explosive Gemengelage, die die Lektüre zum Selbstläufer macht.“
Casten Kuhr für Schreiblust Leselust
„Mir hat das Zusammenspiel der vielen Charaktere wieder unheimlich gut gefallen, wieder einmal kann mich die Autorin mit ihrer Geschichte in den Bann ziehen und mich völlig begeistern.“
Astrid von Letannas Bücherblog
1 Quelle: Wikipedia
[…] Feuerkuss >> Meine Rezension […]