Ich habe selten ein Buch mit so gestelzter Sprache gelesen wie In all deinen Farben. Anhand der Beschreibung wollte ich es wirklich mögen: alte Geschichten neu auf eine Weise erzählt, die Frauen nicht nur als schmückendes Beiwerk oder Objekt darstellen, sondern in den Fokus der Handlung rücken. Leider habe ich schon nach den ersten zwei Geschichten gemerkt, dass es definitiv nicht mein neues Lieblingsbuch wird.
Normalerweise fällt es mir schwer, eine Anthologie wie diese – also einen Sammelband einzelner kurzer Texte – über einen Kamm zu scheren. In diesem Fall ist das aber möglich, da alle Texte von derselben Autorin stammen und sich mit wenigen vereinzelten Ausnahmen in wirklich jeder der zehn Kurzgeschichten die Punkte wiederfinden, die mir gut gefallen oder die ich absolut nicht leiden kann.
Inhalt
Ich mag – wie erwartet – das Basiskonzept von In all deinen Farben. Sheherazade, Psyche, Thisbe, Nofretete und andere Frauenfiguren aus Mythen und klassischer Literatur bekommen einen modernen Twist verliehen und in aktuelle Settings versetzt. Dabei sind sie laut und selbstbewusst und lassen sich nicht klein machen. Nur – das tun sie am Ende doch?
Sie alle werden klein und weich ihrem jeweiligen Love Interest gegenüber, himmeln ihn an, vergessen oder ignorieren ihre eigene Stärke. Klar, die Vorlage dieser Neuerzählungen gibt das irgendwie vor. Aber ich habe nicht erwartet, dass ich mich ein paar Seiten lang über willensstarke Frauen freuen würde, nur um dann auf den jeweils letzten 2 Seiten mit ansehen zu müssen, wie sie in die gleichen Muster fallen, aus denen ich sie eigentlich ausbrechen sehen wollte.
Die Nacherzählung von Psyche und Eros hat übrigens durch ihr Setting sehr an den Film Der Teufel trägt Prada erinnert (mit Psyche als Anne Hathaway), und das leider nicht auf positive Weise.
Das wäre aber alles nicht so wild, wenn die Schreibweise nicht wäre! Ich kann auch an klischeebelasteten Geschichten Freude finden, wenn sie gut geschrieben sind.
Stil
Und da ich die deutsche Ausgabe von In all deinen Farben gelesen habe, kann ich nicht genau sagen, ob es am Originaltext der Autorin Bolu Babalola oder an der Übersetzung von Ursula C. Sturm liegt. Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass ich fast jeden Satz mehrfach lesen musste, um nicht nur die Worte zu lesen, sondern auch zu verstehen, was mir da gerade erzählt wird. Nicht, weil sie zu kompliziert wären. Ich behaupte guten Gewissens, dass ich in meinem Germanistikstudium sehr viel Komplexeres gelesen habe. Aber die Sprache ist so gestelzt, so voll von altmodischen, fast antiquierten Begriffen, dass es mir kaum Spaß machte, die Kurzgeschichten zu lesen.
Gut gefallen hat mir, dass jede Kurgeschichte irgendwie anders war. Es wurde nicht jeder Mythos in dieselbe Moderne versetzt, sondern es gab immer ein vollkommen anderes Szenario. Die Autorin hat sich also definitiv Gedanken gemacht, was am besten zur Vorlage passt. Leider hat das manchmal zu Verwirrung geführt. Ich kann auch nach langem Überlegen nicht genau sagen, was die erste Geschichte von Ọṣun mir eigentlich erzählen will. Spielt sie in der heutigen Zeit? Oder in einer nicht konkret benannten Vergangenheit?
Diese Unklarheiten hätten durch konkrete Schreibweisen vermieden werden können, stattdessen macht In allen deinen Farben das, was mich so sehr stört, dass jede noch so tolle Geschichte kaum mehr eine Chance bei mir hat: das Buch beschreibt jeden Grashalm und sagt mit unfassbar vielen Worten rein gar nichts.
Fazit
Insgesamt bin ich mehr von der leider mäßigen Umsetzung dieser tollen Idee verwirrt als begeistert von den einzelnen Geschichten. Das finde ich enorm schade, da ich mir viel von dieser Anthologie erhofft hatte. Naja, es können nicht alle Bücher immer gut sein.
Wenn ich das Buch nicht als Rezensionsexemplar erhalten hätte, hätte ich es wahrscheinlich nach wenigen Kurzgeschichten abgebrochen.
Autor*in: Bolu Babalola
Übersetzung: Ursula C. Sturm
Originaltitel: Love in Colour
Verlag: Elsevier
Genre/Themen: Anthologie, Kurzgeschichten, Mythos, Klassiker
Preis: 14,99 € (kaufen auf genialokal.de)
ISBN: 9783961611393
Erschienen: 10.03.2022
Format: eBook
Umfang: 320 Seiten
Danke an den Verlag und NetGalley für das Rezensionsexemplar!